Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Tod wird endlich gerächt werden. Die Beweise, die ich dir vorlegen werde, die Beweise ... ja, die werden einigen, gelinde gesagt, Kopfschmerzen bereiten – und mich rehabilitieren! Ha!“
Bérenger stieß ein verrücktes, meckerndes Lachen hervor. Als ich kurz darauf den Salon wieder betrat, sah er mich an, ohne mich zu sehen, drehte sich dann abrupt um, schleuderte einen Stuhl beiseite, der ihm gar nicht im Wege gestanden hatte, und verließ mit dem Schreiben aus Rom in der Hand fast fluchtartig die Villa.
Alle Türen standen hinter ihm auf. Im Nu drang eine eisige Schneeluft in das Haus, das Feuer im Kamin flackerte empört, und mich schauderte. Denn ich ahnte Schreckliches. Gedachte Bérenger sich auf jenes tödliche Spiel einzulassen, dem schon Gélis zum Opfer gefallen war? Jedes Kind wusste: Rom war mächtiger als ein kleiner Abbé auf einer Landpfarre. Der Heilige Vater würde schlagkräftigere Mittel und Wege finden, seinen renitenten Priester endgültig auszuschalten, als diese unwiderrufliche „Suspension divinis“.
Bestenfalls würde man ihn ins Irrenhaus schicken.
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„Unselig, wer zu seinem Halt
die Menschen sich erkor!“
Jean de Racine , Vom eitlen Treiben der Weltkinder
Nächtelang brannte das Licht im Magdala-Turm. Dann endlich schien Bérenger den Brief an Pius fertig zu haben. Er fuhr persönlich nach Esperaza, um ihn aufzugeben, weil er überall Spitzel fürchtete. Und so geschickt ich auch versucht hatte, Bérenger auszufragen, er ließ sich selbst von mir nicht entlocken, was er nach Rom geschrieben hatte.
Nun wurde die Spannung schier unerträglich. Nach einigen Tagen trafen fast gleichzeitig Briefe von den Pariser Freunden ein. Ich vermutete, dass er sie über das Urteil unterrichtet hatte. Auch von Emma war ein Brief dabei. Noch immer verwendete sie auffällige Kuverts mit Blütenaufdruck.
Bérenger nannte mich plötzlich wieder Marinette, war laut, lustig, überdreht. Als er obendrein noch anfing, eine Opernmelodie nach der andern zu pfeifen, wenn er in meine Nähe kam, begann ich mir ernsthaft Sorgen um seinen Geisteszustand zu machen.
Dennoch war es nur die Angst, die ihn wieder einmal im Wald pfeifen ließ, und es fehlte ihm der Mut, diese allzu menschliche Schwäche wenigstens mir gegenüber einzugestehen.
Angst. Die Schatten, die wir nach Gélis` Tod endlich überwunden glaubten, schlichen sich wieder unseren Berg hinauf.
Mit ihnen erschien Abbé Michel Marty – ein Postulant, frisch vom Priesterseminar aus Carcassonne. Ein braver Mann. Ein wenig frömmlerisch, ein wenig zum Räuspern neigend, aber durchaus freundlich, höflich, sich für alles und jedermann entschuldigend, vor allem aber dafür, dass er nun Bérengers Platz einnehmen sollte.
Und Bérenger?
„Herr Kollege“, sagte er nach der ersten Begrüßung liebenswert-charmant, und seine Augen zwinkerten mir dabei zu, „ich denke, Sie brauchen ihre Sachen nicht alle auszupacken. Vielleicht nur das Nötigste. Wissen Sie, Rom ist in meiner Angelegenheit einem Irrtum aufgesessen. Täglich kann eine Berichtigung vom Heiligen Vater selbst hier eintreffen.“
Marty schien von der Aussicht, bald wieder abreisen zu müssen, sichtlich irritiert.
„Aber Ihre Suspension ...“, wagte er einzuwerfen.
„Pah, eine Suspension a divinis hört sich schlimmer an, als sie ist. Haben Sie auf dem Priesterseminar von dem Zwischenfall in England nach der Beerdigung Tyrells gehört, vor zwei Jahren?“
Marty schüttelte verwundert den Kopf. „Nein, wer war Tyrell?“
„Aber guter Mann“, sagte Bérenger geradezu vorwurfsvoll, „Sie wissen wirklich nicht, wer Tyrell war? Hat man euch Frischlinge niemals auf die Modernisten aufmerksam gemacht? Es gibt wohl keine ´verdächtigen` Professoren mehr auf den Seminaren? Hat man sie inzwischen alle abgelöst, wie?“
Marty zuckte unbeholfen mit den Schultern.
„Nun, so denken Sie noch einmal nach, Marty“, forderte ihn Bérenger auf. „Vielleicht ist Ihnen nur die Unterrichtsstunde entfallen?“
Marty schwitzte verzweifelt, was Bérenger veranlasste, frech noch eines daraufzusetzen.
„Mir scheint, Sie haben tatsächlich noch keine einzige Silbe von Tyrells heftigem öffentlichem Protest gegen die Enzyklika ´Pascendi` vernommen. Nichts über deren fast inquisitorische Geisteshaltung? Nein?“
Ich war verärgert. Was versprach sich Bérenger von einem solchen Disput? Was trieb ihn, den jungen, unschuldigen Mann so unter Druck zusetzen? Seinen Zorn auf Rom und auf
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