Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Priester eigentlich Strafe genug sein, wenn man seine kleine Putzmacherin für einige Zeit einsperren würde.“
„Was? Schande und Schmach, das hat er sich offen zu sagen getraut?“
Henriette nickte. „Dieser unverschämte Kerl! Saunière wäre dir hörig, hat er gesagt. Hörig! Aber ich habe es ihm tüchtig gegeben, dem Alten. Ich habe keine Angst vor ihm, und so bibelfest wie er, bin ich schon lange, ha! Wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst – Herr, wer wird bestehen? habe ich ihm entgegengeschleudert, woraufhin er mit zorngeschwelltem Kamm zu seinem spitznasigen Weib geeilt ist, das schon ungeduldig auf der Gasse auf ihn gewartet hatte, wobei sie auf ihre dreiste Art meine frischgeputzten Fenster inspizierte.“
Ach, in Henriette habe ich die beste Streiterin, die es gibt auf dieser Welt. Ich liebe sie.
Nach einiger Zeit beruhigten sich auch die ärgsten Klatschmäuler wieder – wie jedes Mal bisher -, und Bérenger gewann seine Selbstsicherheit zurück, denn die ganze Angelegenheit schien im Sande verlaufen zu sein. Dennoch sah er vom Erwerb eines weiteren Affen lieber ab, wie er es im Sommer eigentlich vorgehabt hatte.
Am Tag des Heiligen Nikolaus brachte Antoine, der die Post im Tal geholt hatte, wichtigtuerisch einen mehrfach gesiegelten Brief, dessen Erhalt Bérenger sogar quittieren musste.
„In Anbetracht dessen, dass der Priester Bérenger Saunière den Anspruch erhebt, Rechenschaft abgelegt zu haben, und dass die durch Seine bischöfliche Exzellenz ernannte Kommission bei ihrer Überprüfung hat feststellen können, dass die von ihm gemachten Einnahmen nicht entsprechend ausgegeben worden sind ...
Und da der Priester Bérenger Saunière fernerhin, selbst wenn er einen Teil seiner Gelder in der Kirche und auf dem Kalvarienberg zweckmäßig ausgegeben, den Rest für sehr kostspielige, völlig nutzlose Bauten verwendet hat ...
In Anbetracht dessen, dass er damit die erbetenen und erhaltenen Gelder auf immer ihrem eigentlichen Verwendungszweck entzogen hat ...
In Anbetracht der erwähnten Tatbestände, aus denen hervorgeht, dass sich der Priester Bérenger Saunière der Verschwendung und der Veruntreuung ihm anvertrauter Gelder schuldig gemacht hat ...
gemäß dem Entscheid der Herren Assessoren der Gerichtsbehörde unter Berufung auf den Heiligen Namen Gottes,
wird der Priester Bérenger Saunière zu einer Suspension a divinis für die Dauer von drei Monaten verurteilt, welche mit dem Tag der Bekanntgabe des vorliegenden Urteils rechtskräftig und im übrigen so lange aufrechterhalten wird, bis er die veruntreuten Güter, den kanonischen Bestimmungen entsprechend, an die rechtmäßige Stelle zurückerstattet hat.
Dieses im Abwesenheitsverfahren gefällte Urteil ist unwiderruflich .
Gefertigt und rechtskräftig erklärt auf dem Sitz der öffentlichen Gerichtsbarkeit in Carcassonne, am 4. Dezember 1911.
Unwiderruflich. Ein junger Priester namens Marty sollte in Kürze die Stelle von Bérenger übernehmen.
„Es ist albern, Marie, was man mir vorschlägt“, hatte mir ein wutentbrannter Bérenger kopfschüttelnd erklärt. „Ich kann mich nicht freikaufen, indem ich die Gelder zurückerstatte. Denn wie sollte ich diesen neuerlichen Geldsegen erklären, wo man mir schon die erste fingierte Spendenliste nicht abgenommen hat.“
„Aber was willst du tun?“ fragte ich verzweifelt. „Dann bist du für immer suspendiert! Wo sollen wir hin?“
„Wir müssen nirgendwohin. Basta. Auf die Bezüge können wir verzichten. Die Villa, die Gärten, der Turm – alles ist in deinem Besitz. Soll der Neue doch ins alte Pfarrhaus ziehen! Hör mit dem Heulen auf, Marie, einen Trumpf habe ich noch in der Hinterhand. Einen gewichtigen Trumpf! Und wie ich Rom kenne ... Nun, ich werde an Pius persönlich schreiben und ihm etwas beilegen, was ihm zu denken gegen dürfte. Diese Kleingeister aus Carcassonne werden sich wundern. Zur Freiheit hat uns Christus befreit! ... Alors ...“
Wie Mela in seinem Käfig lief Bérenger ruhelos auf und ab, er schien mich nicht mehr wahrzunehmen. Was hatte er vor? Ich fing mit zitternden Händen an, das Geschirr abzuräumen. Auf dem Weg in die Küche hörte ich, wie er mit der Faust auf den Tisch schlug und drohend vor sich hinsagte: „Rom – jetzt habe ich dich! Was die Modernisten, was Loisy, Tyrell und auch mein Freund Hoffet nicht fertiggebracht haben, nämlich das aufzudecken, was du seit Jahrhunderten erfolgreich verbirgst, das wird nun mir gelingen. Gélis`
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