Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Männer noch, dachte ich und bemühte mich, meine Hausarbeit so lautlos wie möglich zu verrichten. Bevor ich mit dem Kochen anfing - ich weiß noch, dass ich an diesem Tag ein Cassoulet zubereitete -, lief ich rasch hinauf ins Arbeitszimmer, um das Kaffeegeschirr vom Vortag zum Spülen herunterzuholen. Dort fand ich die beiden, vornübergebeugt auf dem Tisch, friedlich schnarchend, die Köpfe auf ihren angewinkelten Armen und diese auf den Büchern. Beinahe wäre ich über ihre Stiefel gestolpert, die sie irgendwann ausgezogen, aber beileibe nicht zur Seite geräumt hatten. Der Krug mit dem Roten war leer. Neugierig trat ich näher und warf einen Blick auf die alten Pergamente, die in der Mitte des Tisches lagen, als ich aber einsah, dass ich mit all den diffusen Zahlen und Ziffern darauf ganz und gar nichts anfangen konnte, schlich ich mich wieder hinaus und machte mich daran, das eingelegte Entenfleisch in mundgerechte Stücke zu schneiden, damit es anschließend zusammen mit den Bohnen köcheln konnte.
Dabei dachte ich an Barthélémy, von dem ich vorgestern einen Brief bekommen hatte. Juliette stand wohl, wegen ihres fortgeschrittenen Alters, eine schwierige Geburt bevor. Die Schwiegereltern und auch er selbst, seien äußerst beunruhigt, weil der Arzt vor einigen Tagen bedenklich den Kopf geschüttelt und gemeint habe, dass das Kind nicht richtig liegen würde.
„Liebe Marie, ich kenne den Abbé Saunière nicht. Wird er dich wohl für eine gewisse Zeit beurlauben, damit du Juliette beistehen kannst, in ihren schweren Tagen? Ich mache mir wirklich große Sorgen um sie.“
Ich verspürte keine Lust, nach Lyon zu fahren. Gerade jetzt, dachte ich, wo es hier so aufregend wurde, mit all dem Gold und den Pergamenten. Jetzt gerade, wo Bérenger Saunière und ich ...
Marie, mahnte da mein schlechtes Gewissen. Es sind dein eigener Bruder und deine Schwägerin, die deiner Hilfe bedürfen. Du darfst sie nicht im Stich lassen.
Ich seufzte gottergeben und schlich mich ein weiteres Mal ins Treppenhaus, um zu lauschen.
Außerdem hatte Barthélémy geschrieben, dass die Geschäfte nicht gut gehen würden in Lyon. Die Leute hätten im Augenblick anderes im Sinn, als Bücher zu kaufen. Beim erneuten Abschmecken des Eintopfes – einige Rosmarinnadeln konnten nicht schaden – dachte ich, dass nun auch Juliette lernen musste, dass nichts im Leben Bestand hat. Ich nahm den Brief noch einmal zur Hand.
„Die Staatsanleihen des Schwiegervaters, der noch immer zu den Stützen der Lyoner Gesellschaft zählt, werfen nicht mehr so viel ab wie in früheren Jahren, und das Leben ist so teuer wie nie zuvor. Ich will nicht klagen, liebe Schwester, anderen geht es noch viel schlechter. Die Leute erzählen sich wahre Schreckensmärchen von den Zuständen in den neuerrichteten Textilfabriken vor den Toren von Lyon. Dort soll man die Arbeiterinnen mit Riemen über die Maschinen hängen, damit sie gleichzeitig mit ihren Händen und Füßen weben können – und das vierzehn Stunden am Tage! Kannst du dir das vorstellen? Ihr Verdienst ist dennoch so minimal, dass sie aus den Elendsvierteln, die sich wie wahre Ungetüme rings um die Fabriken ausbreiten, niemals herauskommen werden. Wenn man solche Dinge hört, ist man wieder zufrieden mit dem eigenen Los, sehr zufrieden!
Wenn wir auch Mühe haben, die beiden Angestellten in der Buchhandlung zu entlohnen, so werde ich die Kosten für Deine Zugkarte nach Lyon schon aufbringen können.“
Wie gnädig! Die paar Franc für die Zugkarte würden mich nicht arm machen. Wieder dachte ich an das Gold. In meiner Phantasie sah ich mich an diesem Vormittag bereits als reiche junge Dame in Pariser Modellkleidern umherstolzieren und in Lyon großzügig Geschenke verteilen. Juliette würden die wasserblauen Äuglein aus dem Kopf fallen.
Der Duft des Cassoulets war es, der die beiden Priester zwei Stunden später wieder ins Leben zurückrief.
„Oh, oh, oh, Marie!“ rief Boudet verzückt, als er auf löchrigen Socken die Treppe herunterschlich. Was hatte er nur für eine Haushälterin! Nicht lange darauf kam auch Saunière zum Vorschein, die Haare zerzaust, vier Stiefel in den Händen. Unwiderstehlich. „Ja, ich glaube, mein Magen könnte auch etwas Handfestes vertragen“, sagte er, Boudet ein Paar Stiefel zuwerfend und mir übermütig zuzwinkernd.
Kaum hatten wir uns am Küchentisch niedergelassen, disputierten sie auch schon weiter über einen bestimmte Bibeltext, nämlich Lukas 6, 1–5, wo es
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