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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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Zeremonie abspielte. Der Kellner, ein schlanker, hübscher Kerl, machte vor drei Männern und einer jungen Frau, die sich mit viel Gelächter dort niedergelassen hatten, eine eigenartige Handbewegung, worauf diese nickten. Zwei der gutgekleideten Männer, die offenbar aus gehobenen Kreisen stammten, unterhielten sich halblaut über Geschäftliches, der dritte beschäftigte sich derweilen intensiv mit der jungen Dame. Er küsste wiederholt ihre Hand und versuchte ständig, mit seiner Rechten unter ihren Rock zu langen, was die junge Frau zu albernem Kichern veranlasste. Es dauerte jedoch nicht lange, da kam der Garçon zurück, in der einen Hand eine Flasche mit einer giftgrünen Flüssigkeit, in der anderen einen Krug mit Wasser. Er brachte auch drei Gläser und stellte zum Schluss eine Schale mit Würfelzucker auf den Tisch. Die junge Frau hatte sich ein Stück Schokoladentorte bestellt. Mein Bruder stupste mich in die Seite. „Jetzt pass auf, was geschieht!“ flüsterte er mir ins Ohr.
    Die drei Männer schenkten sich Wasser in die Gläser, kramten dann in ihren Fräcken und zogen jeweils ein Samtetui hervor, dem sie einen silbernen Löffel entnahmen. Die Löffel hatten merkwürdige Schlitze am Boden, waren aber am Stiel mit allerlei hübschen Motiven versehen. Ich reckte den Hals, um alles noch besser beobachten zu können, während ich leise mit meinem Bruder redete, um von meiner Neugierde abzulenken. Nun hielten die drei ihre Löffel über das Glas, legten ein Stück Zucker darauf und träufelten etwas von der grünen Flüssigkeit darüber. Der bittersüße Geruch des Getränks – ich meinte Anis oder Lakritz auszumachen – zog sich bis zu unserem Tisch herüber. Bald sah ich, wie erste grüne Schlieren das Wasser trübten. Nun schwiegen die Männer. Mit verzückter Miene hoben sie ihre Gläser und prosteten sich feierlich zu. Das Mädchen hatte in Windeseile das Tortenstück, auf das ein Schornsteinfeger aus Zuckerguss gemalt war, in sich hineingeschlungen.
    Auf dem Heimweg hatte ich Barthélémy gefragt, warum die Hände der Männer so stark gezittert hatten, als sie ihren Löffel über das Glas hielten.
    „Sie sind süchtig, Marie. Der Absinth ist ein Teufelszeug, ja ein Teufelszeug ...“

    War ich alleine unterwegs, ging ich des öfteren zur Rhône hinunter, um mir endlich alles, was in den letzten Wochen in Rennes-le-Château geschehen war, in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Ich hatte in Lyon auch nochmals jenen Bibelabschnitt nachgelesen, den Boudet und Bérenger auf einem der Pergamente entdeckt hatten, nämlich Lukas 6, 1 – 5, die Stelle mit dem Ährenraufen:
    Und es begab sich an einem Sabbat, dass Jesus durchs Getreide ging, und seine Jünger rauften Ähren aus und aßen und rieben sie mit den Händen. Etliche aber der Pharisäer sprachen zu ihnen: Warum tut ihr, was sich nicht ziemt zu tun an Sabbaten? Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Habt ihr nicht das gelesen, was David tat, da ihn hungerte und die mit ihm waren wie er zum Hause Gottes einging und nahm die Schaubrote und aß und gab auch denen, die mit ihm waren? Die doch niemand durfte essen als die Priester allein? Und er sprach zu ihnen: Des Menschen Sohn ist ein Herr auch des Sabbats.
    Selbst nach dem dritten Mal hatte ich nichts Auffälliges entdecken können. Dennoch musste der Abschnitt eine Bedeutung haben, denn Boudet hatte mehrere Male auf das Wort „Sabbat“ hingewiesen. Bérenger jedoch hatte die „verrückte Sabbat-Theorie“ seines Kollegen, wie er sich ausgedrückt hatte, vehement abgelehnt.
    Ich war wirklich gespannt, was sie in Paris darüber herausfinden würden.
    Auf einem dieser Spaziergänge trieb mir der Wind einen anderen seltsamen Geruch in meine Nase. Verwester Fisch! Als ich diese ungastliche Stätte rasch verlassen wollte – es stank wirklich erbärmlich –, bemerkte ich ein langes Bündel im Wasser, das wieder und wieder von den Wellen an den sandigen Strand und die Wurzeln einer alten, knorrigen Weide geworfen wurde. Neugierig kletterte ich die Böschung hinunter, zog die Äste der Weide ein wenig auseinander - und erschrak dann so fürchterlich, dass ich laut aufschrie. Aus einem aufgedunsenen Frauengesicht sahen mir starre, weit aufgerissene blaue Augen entgegen. Für einige Sekunden war ich selbst starr vor Schrecken, dann drehte ich mich um, kletterte wie ein Wiesel die Böschung hinauf und lief nach Hause, wo mein Bruder sofort einen Gendarm verständigte.
    Noch am Abend zitterten mir die

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