Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Christus war für sie auch nicht göttlich, sondern eher eine ´Erweckergestalt`. Der wahre Gnostizismus – so meinten die Katharer – brauche keinen Erlöser von außen. Der erlösende Funke stecke im Inneren eines jeden Menschen selbst. Jesus habe diesen Funken in ihnen entzündet und sie aus der Finsternis der Unwissenheit erlöst. Damit, Marie, ist natürlich nicht die Erlösung von den Sünden gemeint, wie es unsere Kirche lehrt. Darin liegt einer der gravierendsten Unterschiede zwischen den Ketzern und uns Katholiken, verstehst du?“
Ich nickte. Gleich mir hatte sich Bérenger Bücher aus Paris mitgebracht, dicke ledergebundene, offensichtlich sehr teure Wälzer, in denen er nun herumblätterte.
„Du kannst mich gerne nach weiteren Einzelheiten fragen, was die Katharer anbelangt, Marie. Natürlich nur, wenn es dich interessiert“, sagte er gönnerhaft und klopfte wohlwollend auf die Buchdeckel. Ich beschloss – weshalb, weiß ich nicht –, die Unbedarfte zu spielen und ihm vorerst nichts von Monsieur Caprières Freigebigkeit und meinen eigenen Studien über die Ketzer zu erzählen.
„Was war der Grund, weshalb es so viele Menschen zu den Katharern zog?“
„Zum einen lag es an der Prunk- und Herrschsucht der damaligen Kleriker. Da gab es einen Troubadour namens Marcabru, der hat es deutlich ausgesprochen:
´Die geilen Herren Ruf-nach-Wein
und Eil-zu-Tisch, Blas-in-die-Glut
und Hock-am-Rain
verbleiben tief in Schmach und Schad.
Nur an dem Tapfern, treu und still,
erprobt der Herr sein Sühnebad;
doch wer sein eigen hüten will,
bei dem stößt Kraft auf Gegenkraft:
Ich jag sie schmählich vor mir her.`
Die einfachen Leute vermissten also bei den katholischen Priestern dieser Zeit Fleiß und Redlichkeit; sie waren der Meinung, dass sie ´vom Schweiße anderer` leben würden. Damit hatten sie sicher recht. Die Katharer hingegen waren als tüchtig bekannt, auch diejenigen, die sich mit dem Glauben beschäftigten. Sie schätzten die Handwerkskunst und waren ausdauernde, harte Arbeiter, gute Kaufleute. Schon der Heilige Bernhard von Clairvaux hatte nach einer Missionsreise in unser Land angemerkt, dass der Katharer ´keinen betrügt, keinen bedrückt, keinen schlägt; seine Wangen sind bleich vom Fasten, er isst nicht das Brot des Müßiggangs, seine Hände arbeiten für seinen Lebensunterhalt`. Doch gab es noch einen anderen Grund, weshalb die Leute in Scharen konvertierten. Ich denke, es war der einfache Einstieg in den Glauben. Erklärte nur jemand ernsthaft die Absicht, irgendwann in seinem Leben oder in einem anderen – sie glaubten an die Wiedergeburt –, ein Vollkommener zu werden, so war er damit Mitglied der katharischen Kirche geworden und brauchte sich um nichts mehr zu kümmern als um ein gottgefälliges Leben. Höhere theologische Ansprüche stellten nur die parfaits , die Diakone und Bischöfe, die auch die sogenannten secretissimae , ihr Geheimwissen also, bewahrten.“
„Und weshalb haben sie diese Pergamente in den Pfeiler gesteckt?“
„Nicht die Katharer haben das getan, sondern ein Priester namens Antoine Bigou, und zwar im Jahr 1780. Er war einer meiner Vorgänger hier. Dieser Bigou hat vermutlich zwei der alten Katharer-Pergamente irgendwann und irgendwo in Rennes-le-Château gefunden, vielleicht sogar in der Kirche selbst. Ob er sie hat entziffern können, ist allerdings mehr als fraglich. Selbst uns ist es nur ansatzweise gelungen. Es handelt sich nämlich vorwiegend um lateinische Bibelauszüge, in die einzelne griechische Buchstaben hineingesetzt worden sind. Manche Wörter sind auch nur zur Hälfte vorhanden, dafür einige Buchstaben auffallend groß geschrieben, und unter anderen“ - bei diesen Worten zog er eine Abschrift aus seiner Mappe heraus – „stehen kleine zusätzliche Punkte. Sein Fund scheint Bigou jedoch derart in Erregung versetzt zu haben, dass er begann, sich selbst im Verschlüsseln zu üben, denn das dritte Pergament stammt mit absoluter Sicherheit aus seiner eigenen Feder.“
„Aber warum? Was ist mit ihm geschehen?“
„Wir wissen es nicht genau. Den Unterlagen nach hat man ihn im Jahr 1792, aus welchen Gründen auch immer, für ´widerspenstig` erklärt. Er flüchtete von hier, wie es scheint, Hals über Kopf und starb bald danach in einem Ort namens Sabadell in Spanien.“
„Aber was wollte er verbergen? Hat er etwas über den Topf mit Gold geschrieben, den du gefunden hast?“.
„Willst du wirklich wissen, was dieser
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