Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Brei herum, stocherte mit seiner Gabel irgendwelche Muster in sein Pastetenstück. Oft setzte es deswegen Ohrfeigen von seinem Vater und böse Blicke vom Großvater. Eines schönen Tages also, es war an einem Gründonnerstag, konnte er seinen Mund trotz des großväterlichen Verbotes einfach nicht halten. ´Gemüse schmeckt mir nicht`, wagte er zaghaft einzuwenden und - schwuppdiwupp hatte ihm Großvater mit der Kelle eine dicke Ladung Spinat auf sein loses Mundwerk geschleudert. Severin spuckte, heulte, schrie, und wir alle waren entsetzt. Jedoch getraute sich niemand, dem Alten einen Vorwurf zu machen. Großmutter, eine kleine schmächtige Frau, die ständig ihre Hände bewegen musste, und wenn sie nur des Abends stundenlang die Daumen drehte, sah verschämt in den Topf, der noch immer zur Hälfte mit Spinat gefüllt war. Meine Tante Renée, eine fromme Frau, mit einem winzigen Chignon im Nacken – wir sagten heimlich ´Hallelujazwiebel` dazu -, hatte einen roten Kopf bekommen. Sie nahm den plärrenden Balg, um ihm draußen am Brunnen das Gesicht zu waschen. Und jetzt, Marie, gib acht!“
Émilie lachte in sich hinein. Ihre alten Augen strahlten schalkhaft.
„Als Severin endlich wieder bei Tisch saß“, sagte sie unter Kichern und hob dabei den Kopf ein wenig aus dem Berg voller Rüschchenkissen, „da meinte Großmutter: ´Es ist noch genügend Spinat da. Hat noch jemand Hunger?` Severin nahm seinen Löffel, tauchte ihn entschlossen in den Brei, und bevor seine Mutter eingreifen konnte, hatte Großmutter ... platsch ... einen grünen Kragen um den Hals.“
Ich lachte hellauf, und Émilie prustete. Sie war wirklich guter Laune an diesem Abend.
„Was geschah dann mit dem Kleinen? Hat der Alte getobt?“
„Nein, die Reaktion war so urkomisch, dass alle am Tisch zu schmunzeln anfingen, einschließlich Großvater. Am Ende lachten wir Tränen - ja, so war es bei uns zu Hause, Marie ... So ist es gewesen.“
Auf dem Nachhauseweg regnete es erneut in Strömen. Ich zog mir die Kapuze über den Kopf und rannte zum Pfarrhaus hinüber. Plötzlich sah ich einen Schatten über den Kirchplatz huschen, der an der Kirchentür haltmachte. Erschrocken blieb ich stehen und trat hinter den Stamm des alten Feigenbaumes. Wer konnte das nur sein? Wollte sich vielleicht Antoine schon wieder auf die Suche nach geheimnisvollen Fläschchen machen, obwohl Bérenger es ihm streng verboten hatte? Dir werde ich es zeigen, dachte ich und schlich mich leise an die Kirchentür heran. Der Regen rann mir über das Gesicht. Im Näherkommen hörte ich, wie Antoines großer, eiserner Schlüssel beim Herumdrehen erbärmlich quietschte. Ich frohlockte inwendig. Denn geschieht so etwas nicht immer, wenn man besonders unauffällig sein möchte? Antoine war in die Kirche geschlüpft. Um den Alten Mores zu lehren, riß ich mit einem Ruck die Tür auf.
„Was suchst du hier, Antoine?“ rief ich mit lauter Stimme in die dunkle Kirche hinein und erschrak zum zweiten Mal an diesem Abend, als mich nämlich unverhofft ein starker Arm packte und in die Kirche hineinzerrte.
„Ich bin es“, sagte Bérengers ruhige Stimme an meinem Ohr, „du dummes Kind!“
„Guter Gott“, entfuhr es mir, als er mich wieder losgelassen hatte, „weshalb schleichst du dich im Finstern in die Kirche?“
Meine Knie zitterten noch immer beträchtlich.
„Ich habe meine Gründe dafür, gute Gründe ...“
11
„... die Welt ist hier zu Ende,
das Absolute läßt sich nicht mehr leugnen ...“
Alfred Jarry , Madrigal
„Folge mir jetzt, Marie, sei leise, und gib gut acht.“
Mit diesen Worten drückte mir Bérenger eine der großen teuren Altarkerzen in die Hand, die er inzwischen angezündet hatte.
„Auf was soll ich achtgeben, Bérenger?“ flüsterte ich.
„Nun, vor allem, dass man das Licht nicht von außen sehen kann! Wenn uns jemand beobachtet, bin ich Caclar mehr als eine Erklärung schuldig.“
Vor der ersten Bankreihe hielt er inne. Er lief nach rechts, zählte dabei die einzelnen Steinplatten ab, zog einen Meterstab aus seinem Rock, um sie genau zu vermessen, dann wiederholte er das ganze Procedere auf der anderen Seite. Ab und zu klopfte er mit dem Hammer vorsichtig auf die Steinfliesen. Auf meine Frage, ob das Ganze mit Antoines Papier zu tun habe, gab er mir keine Antwort. Da fing ich an, ihn ein wenig zu necken:
„Hast du vielleicht Angst, dass die fromme Odile auf diese nächtliche Messe aufmerksam werden könnte?“
Doch Bérenger lachte
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