Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Ohrfeige erhielt ich zu Recht von meinem Vater, als ich mit acht oder neun Jahren die Frage stellte: „Wart ihr denn früher nicht fleißig und ordentlich gewesen, dass ihr es zu nichts Rechtem gebracht habt?“
Zum Glück war Großmutter in der Nähe gewesen, um mir einen mit eiskaltem Brunnenwasser getränkten Lappen auf die höllisch brennende Wange und mich selbst an ihren üppigen Altweiberbusen zu drücken.
Doch erinnere ich mich auch an schöne Tage. Die Erste Heilige Kommunion. Noch vor Sonnenaufgang war ich auf den Beinen gewesen. Ich konnte es nicht erwarten, mein Festtagsgewand anzuziehen, obwohl es natürlich nur geliehen war. Cousine Maryvette hatte es ein Jahr zuvor getragen, und nach mir würde es die kleine Elize bekommen. Großmutter, in schwarzgrüner Tracht, bürstete mir geduldig die langen Haare, um sie anschließend zu einem dicken Zopf zu flechten und ihn aufzustecken. Auch Vater war bereits für den Kirchgang angekleidet. Er war plötzlich ein richtiger Herr, wenn er den Anzug trug, obwohl der stark nach Naphtalin roch und ein wenig glänzte. Mutter war mit Barthélémy draußen im Hof. Ich sah, wie sie auf ihr Taschentuch spuckte, um ihm die Nase zu säubern, und wie mein Bruder vergeblich versuchte, dem verhassten Taschentuch zu entkommen. Doch Mutter hielt ihn eisern fest, auch noch als Bourriches gelbbraun gefleckter Hund, dem von Geburt an ein halbes Ohr fehlte, angesprungen kam und die zwei miteinander Ringenden voller Begeisterung umkreiste.
Onkel Maurice und Tante Marie-Claire waren es, die das Spektakel beendeten. Mit Elan kam ihr Einspänner auf den Hof geschossen, und ich entdeckte sogleich meine beiden Cousinen, die mir freudig zuwinkten. Die Mädchen waren ebenfalls festlich herausgeputzt, über und über mit rosafarbenen Schleifchen besteckt. Der Onkel, der ein rechter Spottvogel war, wirbelte mich im Kreis herum, bis die Tante ihm energisch Einhalt gebot. Marie-Claire hatte einen recht absonderlichen Hut auf dem Kopf. Er war tiefschwarz, ähnlich wie ein Zylinder geformt, und oberhalb der Krempe saßen fünf rote hölzerne Kirschen. Zu einer Hochzeitsfeier wäre solch ein Hut noch einigermaßen passabel gewesen, aber doch nicht zur Ersten Heiligen Kommunion der Nichte, hatte ich Mutter voller Empörung flüstern hören, mir jedoch gefiel er sehr. Dass ich Jahre später selbst Hüte fertigte und nicht ebenso Magd wurde wie sie, war mein eigenes Verdienst. Wegen einer bestimmten Sache, die mit dem Jungbauern Marcel Bourriche zusammenhing, hatte man nicht darauf bestanden, mich bei ihm anzudienen. Man legte mir jedoch mehrmals ans Herz, in einen Nachbarort, nämlich nach Esperaza, zu gehen, zu einem Großbauern namens Mazéline. Dieser sei auf der Suche nach einer jungen, tüchtigen Magd und – die Augen der Mutter glänzten erwartungsvoll - noch immer unverheiratet. Als ich mir den Mann allerdings eines Tages näher angesehen hatte, ging ich kurz darauf, ohne jemandem etwas davon zu sagen, zur Trussaut, um dort nach einer Lehrstelle nachzufragen. Schon als kleines Mädchen hatte ich oft sehnsüchtig vor dem Schaufenster mit den prächtigen Hüten gestanden. Zu meiner Überraschung und Erleichterung erhielt ich den Vertrag noch am gleichen Tage.
Barthélémy erledigte brav und still alle Arbeiten, die die Eltern ihm auftrugen. Für das Hüten der wertvollen Perlhühner erhielt er von Bourriche zum Namenstag und zu Neujahr den einen oder anderen Sous, was ihn mit Stolz und mich mit heftigem Neid erfüllte. Mein Bruder schaffte es ohne eigene Anstrengung, einzig durch Protektion des Gemeindesekretärs - der Vater sehr schätzte –, eine Anlernstelle in der Gemeindeverwaltung zu bekommen. Er würde es zu etwas bringen, meinten daraufhin alle Leute im Dorf. Die Eltern waren stolz auf ihn. Doch als er zwanzig wurde, fing er von einem Tag auf den anderen an, sein Leben umzukrempeln. Schuld daran war - natürlich eine Frau! Bei einem Kurkonzert in Rennes-les-Bains hatte er Juliette Caprière aus Lyon kennengelernt und sich Hals über Kopf in die gepflegte junge Dame mit den städtischen Manieren und den blonden aufgedrehten Löckchen verliebt. Allerdings war sie nicht mehr ganz so jung, wie sie vorgab. Zum Entsetzen der Eltern nahm sie ihn auf der Stelle mit in die große Stadt, wo er in die Buchhandlung ihres Vaters eintrat. Hatte Barthélémy schon zu Hause nicht viel zu melden gehabt, so entpuppte sich sein geliebtes Weib recht bald als dominanter Drachen, sowohl im Geschäft
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