Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
vorhabe.
„Weißt du, Marie, ich bin jetzt quasi des Tempelritters Freund – sein Freund, nicht sein Glaubensbruder! Ich bitte dich, das nicht zu verwechseln. Das heißt, ich bin der erste Mensch nach seinem Tod, der seine Zeilen aufmerksam gelesen hat – natürlich nur das, was noch einigermaßen leserlich und vor allem verständlich war. vieles ist mir auch absolut rätselhaft. Es war eben eine andere Zeit, ein anderes Denken, er hat mir fremde Worte gewählt, wenngleich es sich um Latein handelt, das wir beide beherrschen.“
„Du kannst doch nicht der erste gewesen sein, wenn du vermutest, dass Bigou seinerzeit in der Grotte war!“
„Ja, diesen Verdacht habe ich, aber ... sei es, wie es will, Bigou ist lange tot. Nun bin ich der Vollstrecker des alten Testamentes, und das Buch - der Ovid - gehört demzufolge mir. Ich werde es allerdings einigen wenigen auserwählten Freunden zeigen. Ganz will ich ihn nicht für mich alleine haben. Denn was hat man von so einem wertvollen Schatz, wenn ihn niemand bewundern kann?“
Nach einiger Zeit hielten wir inne, um uns ein wenig auszuruhen. Die Luft war schlecht. Der Abstieg war für mich entschieden mühseliger als der Aufstieg. Die Stufen waren so ungleichmäßig behauen, dass jeder Tritt gut überlegt sein wollte. Schon bald nach dem Verlassen der Grotte hatten meine Knie angefangen zu schmerzen, und meine Waden zitterten jetzt regelrecht vor Anstrengung. Auch Bérenger atmete schwer, und der Schweiß rann ihm den Nacken hinunter. Er stellte den Korb auf einen Felsspalt unter uns, und jeder von uns setzte sich auf eine Stufe.
„Etwas ist mir nicht klar, Bérenger“, fragte ich ihn nach einigen Minuten, noch immer schwer atmend, „wenn auch die Merowinger mit unserer Geschichte zu tun haben – die Münzen, die du zuerst gefunden hast, sie stammen doch aus dieser Zeit, nicht wahr?“
„Hm, das ist richtig.“
„Nun, stehen sie in irgendeiner Verbindung zum Tempelritter und seiner Familie, zu den Blancheforts?“
„Ich denke nicht. Es ist einzig der Ort, der alle Beteiligten – Merowinger, Katharer und die Familie Blanchefort - verbindet, es ist Rennes-le-Château, die Grotte, in der wir gerade waren.“
„Da fällt mir noch etwas ein“, rief ich aus. „Sollte der seltsame gespaltene Schädel, den du gefunden hast, diesem Dagobert oder vielleicht seinem Sohn Sigibert zugeordnet werden können?“
„Das allerdings wissen nur die Götter ...“, sagte Bérenger lächelnd, wobei seine Zähne aufblitzten im Schein der Laterne. „Boudet will erfahren haben, dass die Enkel dieses Sigibert IV. die Kirche von Rennes-le-Château genau an der Stelle eines heidnischen Isis-Tempels haben erbauen lassen, damit sie ihrem Großvater als letzte Ruhestätte dienen sollte. Vielleicht waren der Schädel Dagoberts und der Topf mit den Münzen tatsächlich ihre letzten Hinterlassenschaften. Wer weiß, wer sich Jahrhunderte lang aus Dagoberts Schatzkammer bedient hat.“
„Und jetzt bedienen wir uns“, warf ich nach kurzem Zögern ein.
Offenbar hatte Bérenger einen leisen Vorwurf aus meiner Stimme herausgehört, denn er sah mich plötzlich mit zusammengekniffenen Augen an, stand dann abrupt auf, schnappte sich den Korb und kletterte waghalsig, in einem wahrhaft atemberaubendem Tempo die letzte gefährliche Etappe hinunter, die zum Ausgang führte.
„Warte auf mich“, rief ich. „So warte!“ Doch er antwortete nicht.
Ärgerlich tastete ich mich mit der Rechten am Fels entlang abwärts, in der anderen Hand hielt ich die Laterne, um den Weg auszuleuchten. Als ich endlich unten ankam, war von Bérenger keine Spur zu sehen. Neben dem Korb mit dem Gold lagen die weißen Tuffsteine, die wir am Vormittag aus dem Bach geholt hatten. Warum hatte Bérenger sie noch nicht obenauf gepackt? Wo war er nur? Als ich mich gerade bückte, um aus der Höhle zu schlüpfen und nach ihm Ausschau zu halten, da versetzte mir plötzlich jemand einen solchen Stoß, dass ich zurücktaumelte und mit dem Kopf auf den blanken Fels aufschlug. Es schmerzte fürchterlich. Bevor ich jedoch einen Schmerzenslaut hervorstoßen konnte, hielt mir jemand den Mund zu.
„Still, Marie“, hauchte mir Bérenger ins Ohr und drängte sich dann dicht an mich. „Kein Wort ...“
Er schien zu lauschen.
„Torkain“, flüsterte er nach einiger Zeit fast unhörbar.
Da wusste ich Bescheid. Das schlaue Bäuerlein hatte uns also doch beobachtet. Wo nur hatte der Mann sich die ganze Zeit versteckt
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