Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
packte Bérenger nun Goldbarren, Ringe und Schmuckstücke in den Korb, die er leicht zu Geld machen konnte. Ich aber - ganz ehrlich gesagt -, ich hatte den unglücklichen Dagobert bereits wieder vergessen, weil ich mich einfach nicht entscheiden konnte, was ich für mich persönlich mitnehmen sollte. Die Schmuckstücke und Edelsteine in den Säcken waren einfach zu auffällig. Ich hätte nichts davon im Dorf tragen können. Am Ende klaubte ich mir gut fünfzig schwarze tropfenförmige Perlen auf – in Gedanken ließ ich mir davon eine Kette anfertigen - und eine schwere goldene Fibel, die, wie Bérenger meinte, ausgezeichnet auf das dunkelviolette Kleid passen würde, das ich mir kürzlich in Limoux hatte schneidern lassen. Als ich schließlich die Gebeine des Tempelritters betrachtete, dem wir all diese Schätze zu verdanken hatten, hielt ich inne und strich ihm ehrfürchtig über seinen kalten Schädel. Neugierig sah ich mich weiter in der Grotte um. Ein zweiter Totenkopf nebst dazugehörigen Gebeinen lag in einer halbrunden Felsnische, inmitten eines aufgerissenen Ledersackes, ebenfalls umgeben von goldenen Gefäßen, Perlen, Rubinen und Smaragden.
„Blancheforts Helfer. Er hat ihn als Mitwisser aus dem Weg räumen, das heißt töten müssen. All das ist in seinem Testament zu lesen, Marie“, sagte Bérenger leise hinter mir. Ich erschrak. Auch wenn der Mord an dem armen Mann schon Jahrhunderte zurücklag, machte er mich betroffen. Denn war ich nicht ebenso eine Mitwisserin um diese Grotte?
Vor Bérenger fürchtete ich mich nicht. Aber es gab, wie ich wusste, noch andere Eingeweihte, in Carcassonne, in Paris oder wer weiß wo noch auf dieser Welt. Konnte ich Bérengers Worten Glauben schenken, dass nur wir beide den Ort dieser Schatzkammer - Dagoberts Schatzkammer - kannten? So recht wollten mir nun all die Pretiosen nicht mehr gefallen. Ich warf einen letzten Blick auf den Schädel des Getöteten, als mir ein Haufen alter Lumpen auffiel, der neben ihm lag. Mit spitzen Fingern hob ich sie hoch.
„Bérenger“, schrie ich gellend auf, „sieh doch!“
„Musst du deshalb so brüllen!“ Bérenger war vor Schreck zusammengefahren. Als er jedoch sah, was da vor mir stand, nämlich eine offenbar silberne Truhe, dunkel angelaufen in all den Jahren, stieß er einen überraschten Pfiff aus. Dann bückte er sich, um sie zu öffnen. Es dauerte einige Zeit, bis der Deckel aufsprang. Zuoberst, auf einer Schicht altem Pergament, lag eine Pfeilspitze, schwarz von Blut.
„Nach dir habe ich schon gesucht“, murmelte Bérenger.
„Was willst du mit dem Ding anfangen?“
„Gar nichts. Der Tempelritter hat von ihr berichtet. Sein Vater, der Graf von Blanchefort, fand durch sie den Tod.“ Vorsichtig steckte er die Pfeilspitze in seine Brusttasche. Unter einer weiteren Lage unbeschrieben Pergamentes, das im Laufe der Jahrhunderte brüchig geworden war, fanden wir an die drei Dutzend schwerer goldener Münzen aus Tempelritterzeiten.
„Mein Finderlohn! Ganz so, wie es in seinem Testament steht“, sagte Bérenger sichtlich zufrieden und band das Gold gewissenhaft in sein kariertes Taschentuch. „Mit diesen Münzen habe ich den Beweis, dass jedes Wort stimmt, das Blanchefort vor fast siebenhundert Jahren geschrieben hat. Und wenn mich nicht alles täuscht, so müsste auch ...“ Rasch räumte Bérenger die restlichen Pergamente zur Seite.
„Leuchte, Marie, leuchte!“ rief er freudig erregt. Ich hielt die Laterne hoch. Ehrfürchtig schlug Bérenger ein altes Buch auf. „Welch ein Tag, welch eine Stunde“, sagte er feierlich, als er es näher in Augenschein genommen hatte. „Ovids ´Metamorphosen`! Eine Ausgabe aus dem Mittelalter. Marie, dieser Schatz ist mehr wert als alles andere zusammen. Es handelt sich um eine bibliophile Kostbarkeit ersten Ranges. Ovid war Blanchefort ein treuer Begleiter auf seinem nicht gerade einfachen Lebensweg, und er hat dieses Buch einst gehütet wie seinen Augapfel. Sieh nur, alles ist mit der Hand geschrieben und mit wunderschöner Buchmalerei versehen.“ Vorsichtig begann Bérenger darin zu blättern.
„Um dich weinen, o Orpheus, die trauernden Vögel“ , deklamierte er plötzlich laut und deutlich, so dass sein Echo von den Wänden zurückhallte.
„Und möge Blancheforts Seele endlich ihren Frieden finden!“ ergänzte ich - ohne dass es sich gereimt hätte.
Als wir uns schwer beladen wieder an den Abstieg machten, fragte ich Bérenger, was er denn mit dem alten Buch
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