Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
sich in der Früh zum Kirchgang vorbereitete, meine Veränderung ebenfalls aufgefallen.
„Hübsch, hübsch – du siehst aus wie die Gräfin von Rennes-le-Château persönlich“, hatte er gesagt und mir anerkennend auf den Hintern geklopft, was einer Gräfin allerdings wenig gemäß war. Dann war die scheinheilige Frage gekommen: „Hat deine Aufmachung gerade heute eine besondere Bedeutung, liebe Marie?“
„Was meinst du?“ hatte ich entgegnet, mit unschuldigem Augenaufschlag.
„Ach nichts, nichts. Ich muss mich sammeln und auf die Schäflein vorbereiten. Hast du mein Brevier irgendwo gesehen?“
Er predigte an diesem Sonntag über Martha und Maria und betonte ganze drei Mal, dass letztere das gute Teil erwählt habe, das nicht von ihr genommen werden solle. Dabei sah er mir jedes Mal in die Augen, aber ich will nicht so vermessen sein und denken, dass er bei der Auswahl des Predigttextes tatsächlich mich im Sinn hatte. Nein, nicht, seit ich erfahren habe, wie er wirklich über die Geschichte mit meinem Verehrer dachte.
„Und Sie sind ohne Zweifel der berühmte Bruder aus Madagaskar“, versuchte ich auf altbewährte Weise zu scherzen, um die Situation zu entkrampfen, denn Simone stand mit zusammengekniffenem Mund neben uns.
Ives nickte, lachte ein wenig verlegen, starrte mich aber unentwegt an.
„Berühmt bin ich natürlich nicht“, er räusperte sich nervös, um dann ausgiebig zu husten. „Entschuldigen Sie bitte, Mademoiselle!“
Umständlich kramte er ein blütenweißes Taschentuch hervor und betupfte sich den Mund damit. „Mademoiselle Marie, lassen Sie mich bitte offen reden. Simone hat mir von dem unglücklichen Vorfall erzählt. Ich muss Sie wirklich um Verzeihung bitten!“
Simone wurde puterrot und presste die Lippen noch fester aufeinander.
„Es gibt nichts zu verzeihen, vergessen wir dieses Missverständnis!“ antworte ich freundlich. Aber der gute Mann gab sich nicht so schnell geschlagen.
„Nun, so hätte ich einen Vorschlag zu machen, Mademoiselle Marie. Wir könnten einfach so tun, als ob wir uns heute das erste Mal sähen!“
Was wollte er eigentlich, wir sahen uns heute doch wirklich zum ersten – und hoffentlich zum letzten Mal!
Ich zuckte mit den Schultern. „Wie Sie meinen, Monsieur Leclerque! Einen schönen Sonntag noch, auch dir, Simone.“ Mit diesen Worten wollte ich mich umdrehen, um ins Pfarrhaus zu gehen. Doch da trat der Mann einen Schritt auf mich zu.
„Ach bitte, nennen Sie mich doch Ives, und geben Sie mir Gelegenheit, Sie näher kennenzulernen und mich Ihnen, bevor ich abreise, vielleicht selbst zu offenbaren. Darf ich sie bitten, heute zum Kaffee zu uns zu kommen? Lassen Sie mir noch eine winzige Chance!“ flehte er. „Denn ich muss sagen, Sie gefallen mir sehr, Marie! Das habe ich gleich gesehen."
Das war mehr als direkt. Jetzt wurde es ernst.
„Nein, Monsieur Leclerque“, antwortete ich leise, aber bestimmt und sah ihm dabei in die wasserblauen Augen. „Bitte geben Sie sich keine Mühe! Ich bin weder in Sie verliebt, noch habe ich vor, mich in Sie zu verlieben. Und das ist mein letztes Wort! Nichts für ungut.“
„Marie!“ flehte jetzt Simone, die bislang keinen Ton von sich gegeben hatte. Sie war nun ganz weiß im Gesicht. „Bitte sag nicht vorschnell nein!“
Doch ich schüttelte nur schroff den Kopf und ließ die beiden stehen.
Bérenger hatte die ganze Zeit vor der Sakristei gestanden und uns aus den Augenwinkeln heraus beobachtet.
Am späten Abend brachte er das Gespräch auf Simones Bruder, wie ich befürchtet hatte.
„Du erzählst ja gar nichts über den Mann aus Madagaskar, liebe Marie?“ hatte er gesagt und für einen Augenblick die Nase aus dem dicken Wälzer genommen, in den er seit Stunden vertieft war. Seine Stimme klang ein wenig belegt.
„Weil es nichts zu erzählen gibt“, antwortete ich kurz angebunden, ohne von meiner Stopfnadel aufzusehen.
„Na, na!“ lenkte er ein. „Ihr habt doch eine geschlagene Viertelstunde miteinander geredet nach dem Gottesdienst!“
„Ach, hast du auf die Uhr gesehen, ja?“ entgegnete ich patzig. Ich hatte absolut keine Lust, ihm ausführlich von dem Gespräch zu berichten.
„Was ist eigentlich los mit dir heute? Den ganzen Tag über warst du schon so sonderbar.“
Ja, was war los mit mir? Bedauerte ich meine überstürzte Absage, Monsieur Leclerque näher kennenzulernen? Ein Leben mit diesem Mann erschien mir tatsächlich jetzt, wo ich ihn persönlich begutachtet hatte,
Weitere Kostenlose Bücher