Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
hatte bedeuten sollen, der Esel nahm sich ihn, die unsanften Tritte seines Herrn oder auch beides zu Herzen, und kurz darauf war Torkain außer Sichtweite.
„Neidhammel!“ entfuhr es Bérenger.
Ich schwieg. Noch immer schwirrte mir der Kopf. Keltische Sprache, Kromlech? Dieser geheimnisvolle Ort, den die Priester geradezu verbissen suchten?
Und was, um alles in der Welt, hieß allegorisch?
Kurz bevor wir am Hohlweg angekommen waren, der zum Eingang der Höhle führt, hielt Bérenger inne. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute unauffällig in alle Richtungen. Doch weder war Monsieur Torkain zu sehen noch sein störrischer Esel, und auch vom buckligen Jean war weit und breit keine Spur.
So machten wir uns an den Aufstieg zur Grotte.
Die beiden Entwürfe für die Statuen - Jesus und der Teufel - gingen mir nicht aus dem Kopf. Die Pergamente hatten zwar einen Hinweis auf „Rex mundi“ enthalten, doch hatte ich den Eindruck, dass erst seit Bérengers erstem Parisaufenthalt der „Unaussprechliche“ eine wichtige Rolle spielte. Aber welche? Wie war das noch einmal gewesen? Beim Kreuz ... Pferd Gottes ... der Dämon des Tanzfestes?
Besaß Hoffet – dieser „hochkarätige Experte aus Paris“, wie ihn Boudet einmal bezeichnete, vielleicht zuviel Phantasie?
Doch auch mit Boudet selbst schien etwas nicht zu stimmen. Er hatte sich zu seinem Nachteil verändert. Obwohl er mir die Stelle bei Bérenger verschafft hatte, trat er mir mir gegenüber in letzter Zeit oft anmaßend und fordernd auf. Offenbar war auch er inzwischen über unser Liebesverhältnis informiert, denn vor zwei Wochen war es zu einem heftigen Disput zwischen den beiden Priestern gekommen, der nichts mit Hoffets tanzenden Dämonen zu tun gehabt hatte.
„Die Leute aus dem Dorf sind doch nicht auf den Kopf gefallen!“ hatte Boudet gebrüllt. „Noch ist die Zeit nicht gekommen, mein lieber Saunière, um die Wahrheit zu sagen, wenn wir sie überhaupt jemals ungeschminkt sagen dürfen. Schalt also endlich wieder deinen Verstand ein – in zweierlei Hinsicht scheint er dir nämlich abhanden gekommen zu sein.“
„Wie soll ich das verstehen?“ hatte Bérenger zurückgeschrien.
Bei der Lautstärke der beiden hatte ich noch in der Küche jedes Wort hören können.
„Wie du das verstehen sollst? Nun, ich will es dir offen sagen, Bruder. Zum einen ist dir offenbar dein Verstand in deine Hose gerutscht. Davon hört man ja so manches im Tal. Darüber will ich aber nicht urteilen. Du bist alt genug, um zu wissen, was du tust. viel ernster scheint mir, dass du deinen Reichtum so unverhohlen zur Schau stellst. Er wiegt dich in falscher Sicherheit, mein Freund. Lass dir das eine Warnung sein.“
„Ach, spricht jetzt der Neid aus deinen Worten, Jean-Jacques-Henri?“ höhnte Bérenger. „Hast du etwa deinen Anteil nicht erhalten?“
Boudets Antwort muss sehr leise ausgefallen sein, denn ich konnte - außer dass der Name des Bischofs von Carcassonne, Billard, fiel - nichts mehr verstehen.
Als ich Bérenger am nächsten Tag vorsichtig auf den Vorfall ansprach, erklärte er widerstrebend: „Boudet hat kein Recht zu solchen Ausbrüchen, Marie, aber daran sind seine schlechten Nerven schuld. Außerdem setzt ihn Billard ziemlich unter Druck, weil er zu viel Zeit hier oben bei uns verbringt, anstatt sich um seine Gemeinde zu kümmern, und dann ... na ja, es hat gewisse Beschwerden gegeben. Am besten, du vergisst den Vorfall.“
Mit diesen Worten hatte er mich in seine Arme genommen und geküsst. Tief sah er mir dabei in die Augen, bevor er flüsterte: „Sie sind noch immer veilchenblau, Marinette – ungewöhnlich, wirklich erstaunlich!“
18
„Doch auch noch mitten in der Nacht bezeugen wir
die Pracht des Tages und sein ganzes Dasein ...“
Robert Desnos , Demain
Der Aufstieg zur Grotte war mühsam und trotz der ausgebesserten Stufen nicht ungefährlich. Auf dem ganzen Weg hinauf hatte es modrig gerochen. Obwohl ich heftig keuchte, verschlug es mir fast den Atem, als wir endlich am Ziel waren.
Wohin auch der Schein meiner Laterne fiel, es glitzerte und funkelte. Bérenger lachte, als ich begann, in den geöffneten Säcken herumzuwühlen.
„Dieser Schatz gehört König Dagobert II. und Zion – und dort ist er tot!“ sagte er mit donnernder Stimme, so dass ich zusammenfuhr. Erschrocken sah ich auf.
„Wie meinst du das?“
„Nun, auch diesen Spruch haben wir einem der Pergamente entnommen, indem wir die dort markierten Buchstaben
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