Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
kauf dir meinethalben auch ein kleines Fässchen Roten, aber halte zukünftig dein Mundwerk. Hast du mich verstanden, Jean?“
„Jawohl, Hochwürden!“ Der arme Kerl schluchzte erneut. „Hochwürden, du erzählst es doch nicht meiner Maman?“
„Nein, Jean, du hast mein Wort“, sagte Bérenger. „Ich werde schweigen auf immer und ewig - aber nur, wenn auch du schweigst. Und nun bete, wie ich es dich gelehrt habe!“
„Heilig ... heiliger Schutzengel“, stotterte Jean, „bewahre mich vor der Sünde, vor der Sünde und führe mich zum Himmel. Amen.“
Danach war es ein wenig ruhiger um uns geworden, doch die Leute beäugten mich genau bei allem, was ich tat, und sei es nur beim Aufhängen oder Bleichen der Wäsche. Ich weigerte mich, in meine alte Rolle als arme Magd zurückzukehren – das wäre zu verlogen gewesen -, bemühte mich aber trotzdem, es allen recht zu machen. So arbeitete ich gewissermaßen Tag und Nacht. Der Pfarrgarten wurde nach und nach zum schönsten im ganzen Ort. Die Bohnenstangen hingen voller Schoten. Lauch, Zwiebeln, Tomaten, Gurken, Artischocken, Auberginen und Avocados - alles wuchs und gedieh unter meinen Händen. Vor die blauen und weißen Fliederbüsche pflanzte ich goldgelbe Mädchenaugen, zwischen den weißen Rosenstöcken wiegte sich violetter Lavendel im Wind, aus einem Rondell aus grünem Buchs, das ich regelmäßig beschnitt, lugten rote Dahlien, und um den Zaun wanden sich zarte Wicken in allen nur vorstellbaren Pastellfarben. Nach und nach baten mich die Frauen aus dem Dorf um bestimmte Heilkräuter, Samen oder Schösslinge. Ich half aus, wo immer ich konnte, gab manchen guten Rat und erwarb mir damit wieder ein wenig ihr Vertrauen.
Eine Zeitlang vermied ich es, Louise zu besuchen, so wie ich nach unserer Auseinandersetzung auch Simones Haus nicht mehr betreten hatte. Inzwischen war ich mir jedoch sicher, dass die Geschichte mit der dummen Hochzeit längst vergessen war, und nahm mir fest vor, Simone bei nächster Gelegenheit die Hand zu reichen.
Da erfuhr ich von Henriette, dass er kommen sollte: Ives Leclerque.
Bepackt mit Speeren, Schilden und umfangreichen Paketen, stieg er tatsächlich eines schönen Tages aus einem Einspänner. Seit Wochen wusste das ganze Dorf von seinem bevorstehenden Besuch. Nur ich, ich hatte keine Ahnung gehabt.
Am ersten Sonntag nach seiner Ankunft sah ich ihn in der Messe sitzen, vorne auf der Männerseite, Simone gegenüber. Aus der Entfernung schien er ein gutaussehender Mann zu sein. Er war zwei Köpfe größer als seine Schwester und tief gebräunt. Der schwarze Anzug, den er trug, entsprach zwar nicht gerade dem neuesten Pariser Modejournal für Herren, dafür war er aber aus feinstem Stoff gearbeitet. Wie Simone hatte Ives herrliche hellblonde Haare, die in der dunklen Kirche geradezu leuchteten. Lang und glatt hingen sie ihm allerdings wenig gepflegt über seinen Kragen. Wir alle im Dorf hatten seiner Schwester offenbar Unrecht getan, als wir ihr nachsagten, dass ihre Haare künstlich gebleicht wären.
Obwohl ich keinerlei Interesse an einer Begegnung mit dem Mann hatte, konnte ich es nicht lassen, meinen potentiellen Bräutigam während der Messe heimlich aus den Augenwinkeln heraus zu beobachten. Er sang laut und falsch.
Als er nach dem Segen mit Simone die Kirche verließ, kamen beide auf mich zugeschlendert.
Ich ärgerte mich schrecklich, dass mein Herz so heftig zu klopfen anfing.
„Sie sind die Marie, nicht wahr?“ sprach mich Ives leise an, und ich sah ihn zum ersten Mal von vorn. Ein gutgeschnittenes Gesicht, blaue, freundlich blickende Augen. Kein Vergleich zwar mit den dunklen, blitzenden, klugen Augen Bérengers, aber dennoch, der Mann war nicht unsympathisch.
Ich lächelte ihn an. „Ja, das bin ich.“
Selbstverständlich hatte ich mich heute besonders fein gemacht. Vor drei Tagen erst war die Sendung eingetroffen: ein dunkelblaues Wollkostüm, die dazu passende weiße Spitzenbluse aus Seide, zierliche Knöpfstiefel und die kalbsledernen, weichen Handschuhe. Meine Haare hatte ich – unter Verwendung von fünf Eigelb - frisch gewaschen, kunstvoll hochgesteckt und mit einer eleganten silbernen Spange und einem kleinen Schleier versehen, die Nase war gepudert. Dem alten Caclar waren beinahe die falschen Zähne herausgefallen, auf die er so stolz ist, obwohl sie wackeln wie der Schwanz seines jungen Hundes. Auch Torkain hatte sich einen zweiten Blick nicht verkneifen können. Natürlich war Bérenger, als er
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