Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Liebesbeziehung zwischen Bérenger und mir einkalkuliert?
Ein solches Vorgehen setzt jedoch voraus, dass Boudet von Anbeginn an damit rechnete, dass Bérenger beim Renovieren der Kirche die alten Pergamente finden würde. Hatte Bigous Geheimnis (vor der Zeit) einen Mitwisser gehabt und war auf verschlungenen Wegen zu Boudet gelangt, der zu alt war, um sich selbst auf die Suche zu machen?
„Der Schatz von Rennes ist den Eingeweihten bestimmt“, hatte ich Bérengers Aufzeichnungen entnommen.
Ich muss nachdenken, bevor ich weiterschreibe.
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„Steht auf, singt lauter, tanzt dabei im Kreise ...“
Guillaume Apollinaire , Nuit rhénane
Sie sind tatsächlich alle gekommen, um das Haus und die Gärten einzuweihen. Der ganze Freundeskreis aus Paris, obendrein der französische Kultusminister - hört, hört – und eine geheimnisumwitterte, offenbar hochgestellte Persönlichkeit, die sich „Monsieur Guillaume“ nannte. Alle außer Emma, die in London weilte, was meinen Seelenfrieden weitgehend in der Balance hielt, obwohl Bérenger nach der Rückkehr von einer einwöchigen „Dienstreise“ in sein Buch geschrieben hatte, dass sie phantastisch ausgesehen hätte.
Wochenlange Vorbereitungen hatten mich und Henriette in Atem gehalten.
Dann endlich war der besondere Tag da – ein strahlender Sonntag im Juni des Jahres 1895 -, sämtliche Gästezimmer waren belegt, und das festliche Dîner konnte aufgetragen werden. Es gab Bachforellen, in goldgelber Butter gebacken. Jean hatte sie am Morgen aus dem Coleurbach gefischt, wenigstens dazu war er zu gebrauchen. Als Zwischengericht servierten wir Salat aus zartem Fenchel, Avocados und Brennnesseln (die zuhauf in Rennes wachsen; aber nur die ganz zarten Blättchen schmecken wirklich gut). Im Anschluss daran kamen Täubchen auf den Tisch, mit Speck umwickelt und gefüllt mit einer Eierfarce; und zum Dessert gab es eine echte Spezialität unserer Gegend: eine Maronencreme, von der ab sofort tout Paris schwärmen würde, wie mir von allen Seiten versichert wurde. Meine Weigerung, das Rezept preiszugeben, brachte mir einen nächtlichen Rüffel Bérengers ein. Denn ich hatte Hoffet allen Ernstes erklärt, dass es Dinge auf dieser Welt gäbe, die unbedingt geheim bleiben müssten, sonst würden sie am Ende noch von der Allgemeinheit entweiht! Bérenger hatte einen hochroten Kopf bekommen, während tout Paris in wieherndes Gelächter ausgebrochen war.
Der absolut krönende Abschluss des Abends waren jedoch die Raketen und Schwärmer, die Bérenger sich aus Toulouse hatte kommen lassen und mit denen Antoine und Didier, der zu dieser Zeit noch bei uns beschäftigt war, genau nach Anweisung den nächtlichen Sternenhimmel illuminierten, das heißt, mit zusätzlichen rot-, blau- und goldglühenden Kometen versah. Alle Einwohner von Rennes waren auf den Beinen, als es um Mitternacht losging. Wer würde sich ein solches Spektakel entgehen lassen! Die meisten hatten so etwas Verrücktes noch nie gesehen – ich nehme mich dabei nicht aus -, und einige werden ganz sicher auf dem Nachhauseweg gemeint haben: „Er übertreibt, unser Priester, ohne Zweifel. Aber ohne ihn wäre nichts, aber auch gar nichts los in Rennes-le-Château!“
Jener anonyme „Monsieur Guillaume“ war mir auf Anhieb sympathisch. Gerade aus diesem Grunde zögere ich ein wenig, seinen tatsächlichen Anteil an unserer Geschichte öffentlich werden zu lassen. Obwohl er für Außenstehende eine gewisse diplomatische Geschmeidigkeit an den Tag legte, war er einer der angenehmsten unter all unseren Gästen in diesen Jahren. In seinem Kopf jedoch geisterten offenbar ebenso verrückte Ideen herum wie bei den anderen Freunden. Mit Bérenger und Boudet führte er beispielsweise stundenlange Gespräche über gewisse Stammbäume, die auf die Merowinger zurückgingen. Bérenger erzählte mir später einmal (unter Rotweineinfluss), dass G. den Schädel ausgiebig untersucht hätte, weil angeblich auch Merowingerblut (göttliches, sagte er wörtlich, was ich nun gar nicht verstehen kann) in den Adern der Habsburger fließen soll, was ihnen einen Anrecht auf den französischen Thron einräumen würde. Letzterer Hinweis war es, der für mich die Anonymität Monsieur Guillaumes aufhob. Der nette Habsburger also hatte den Schädel sogar mitgenommen, weil er ihn in einem Institut untersuchen lassen wollte. Offensichtlich werden auch adlige Leute von zahlreichen Schrullen geplagt – nicht nur einfache Landpriester und ihre
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