Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
aus, unbeirrt trotz des Raschelns von Laub unter seinen Füßen, nur kurz hob eine den Kopf und schaute ihn direkt an, Verwunderung im Blick, als drohte er, ihnen die Beute zu klauen. Erst ein dumpfes Bellen, wie von einem Nebelhorn, scheuchte sie auf, und sie stolzierten ein paar Schritte weiter, bevor sie heiser krächzend aufflogen, schwarz glänzende Boten des Unheils. Ihn schauderte unwillkürlich. Der Hund, der sie vertrieben hatte, tauchte wie ein Geist aus dem Nebel auf, ein sabberndes Riesenvieh, das träge den Schädel nach ihm wandte, bis sein unverhältnismäßig klein geratenes Herrchen ihn fortzerrte.
In der Klinik angekommen, erkundigte er sich nach dem Neuzugang und wurde an die Intensivstation verwiesen. Oje, dachte er, das hörte sich nicht gut an. Die Wegbeschreibung entfiel ihm schon nach dem ersten Richtungswechsel, der typische Krankenhausgeruch setzte noch jedes Mal seinem Erinnerungsvermögen zu, und er musste sich durchfragen. Endlich erreichte er die Station. Eine Schwester wies ihm den Weg zum Wartezimmer und bat ihn um Geduld, sie würde ihm den diensthabenden Arzt so bald wie möglich vorbeischicken.
Ein Paar befand sich in dem Raum; der Mann griff gerade nach einem Mantel und hielt ihn der noch im grünen Schutzkittel steckenden Frau hin, doch die wehrte ihn kopfschüttelnd ab, die universelle Wie-kannst-du-nur-Geste aller verzweifelten Mütter, hartnäckig darauf beharrend, dass allein ihre Anwesenheit den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeutete. Zinkel öffnete behutsam die Tür.
»Na komm«, sagte der Mann, »du hast doch gehört, dass wir nichts tun können, lass mich dich nach Hause bringen.«
»Ich kann ihn nicht allein lassen«, sagte die Frau und wandte sich von ihm ab.
»Marilene?«, entfuhr es Zinkel. »Was machst du denn hier? Oh nein«, es dämmerte ihm, »ist etwa Gerrit …?«
Ihre Augen quollen über, und sie nickte nur.
»Und Sie sind?«, erkundigte sich der Mann, Misstrauen im Blick.
»Zinkel, Kripo.« Er verzichtete darauf, seinen gerade erst verstauten Ausweis wieder hervorzukramen. »Wie geht’s ihm?«
Marilene rang um Fassung. »Er ist nicht bei Bewusstsein, man kann noch gar nichts sagen, die Gefahr einer Infektion – wer weiß, was das Tier für Krankheiten hatte. Ich mag nicht weg hier, wenigstens bis seine Familie eingetroffen ist …«
Ein Flehen um Beistand, nahm Zinkel an. »Das kann ich gut verstehen«, sagte er. »Kannst du mir erzählen, was passiert ist?«
Sie nickte und schloss die Augen, wie um sich zu sammeln. »Ich hab auf einen Mandanten gewartet«, sagte sie, »und auf einmal war draußen so ein Knurren zu hören, also bin ich ans Fenster und hab den Hund gesehen, und das Bein von jemandem, der auf dem Boden lag, und dann ist mir klar geworden, dass das Gerrit sein musste, er war gerade zurückgekommen …« Wieder verlor sich ihre Stimme.
»Sie ist rausgerast«, sprang der Typ ein, »und hat was von einer Hundeattacke geschrien. Ich war im Vorzimmer, also hab ich mir einen Brieföffner vom Tisch geschnappt und bin ihr hinterher. Sie hat allen Ernstes versucht, dem Hund den Schädel einzuschlagen, mit einem winzigen Stein, aber mehr als ein paar Beulen dürfte er nicht davongetragen haben. Frauen«, er bedachte Marilene mit einem gönnerhaften Blick, »Frauen und die Scheu, eine lebendige Kreatur zu verletzen, egal, um was für eine Bestie es sich handelt.«
»Ich wollte ihm nicht den Schädel einschlagen, ich wollte ihn in die Flucht schlagen«, differenzierte Marilene, »aber das hat nicht geklappt. Also war es gut, dass er da war.« Sie deutete mit dem Daumen auf ihren Begleiter. »Olaf Grünberger«, stellte sie ihn vor.
»Das war nicht leicht«, übernahm Grünberger wieder, »ich wollte Gerrit ja nicht treffen, aber es ist mir gelungen, dem Hund den Brieföffner in den Hals zu rammen, und anscheinend hab ich eine gute Stelle getroffen, denn er war fast sofort tot. Wissen Sie schon, wem das Tier gehört?«, fragte er.
»Leider nein«, sagte Zinkel, »kein Chip.«
»Ich dachte, das wär Pflicht?« Grünberger warf sich rechtschaffen in die Brust wie einer, der im Leben noch kein Gesetz übertreten hatte.
»Wir bleiben dran«, sagte Zinkel nur. Er wüsste gar zu gern, warum Grünberger anwaltlichen Beistand brauchte, da war etwas Lauerndes in seinem Blick, das ihm merkwürdig vorkam. »Aber danke für Ihre Aussage«, fügte er hinzu, »ich will Sie nicht länger aufhalten.«
»Geh nur«, pflichtete Marilene ihm bei, »ich
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