Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
dich tun?«, erkundigte sie sich.
»Hau ab«, sagte das Mädchen.
»Nö«, entgegnete sie, »entweder begleite ich dich nach Hause, oder ich rufe die Polizei, damit sie das übernimmt. Du hast die Wahl.«
Das Mädchen hob den Kopf. »Helfersyndrom, oder was?«, blaffte sie.
»Ja, das stimmt wohl«, gab Marilene zu und setzte sich, »das ist eine meiner hervorstechendsten Eigenschaften und geht leider manchmal nach hinten los, von daher ist die Polizei vielleicht die sicherere Alternative. Andererseits bin ich Anwältin, was manchmal auch von Vorteil sein kann.«
»Ich kann nicht nach Hause.«
Marilene wartete auf eine Begründung, die nicht kam. »Heißt das, du hattest vor, hier zu übernachten?«
»Nee. Natürlich nicht. Ich wollte bei meiner Freundin bleiben.«
»Aber?«
»Nichts aber. Ich musste da weg.« Sie klappte hörbar den Mund zu, als sei dies ihr letztes Wort zum Thema.
»Parkbank geht aber wirklich nicht, die Nächte sind dann doch zu kalt, da holst du dir sonst was weg. Also was machen wir?«
»Keine Ahnung«, flüsterte das Mädchen und zog die Nase hoch.
Oje, dachte Marilene, das klang schwer nach Drama: Liebeskummer oder etwas ähnlich Welteinstürzendes, nahm sie an. »Also ich kann dich hier wirklich nicht dir selbst überlassen. Und Gesellschaft leisten werde ich dir auch nicht, mir friert schon jetzt der Hintern ab«, sagte sie und zog die Jacke enger um sich. Sie beobachtete, wie das Mädchen die linke Hand ausschüttelte, sie sich sodann vors Gesicht hielt und auf die Finger pustete.
Marilene ließ sich ablenken. »Was ist da passiert?«, erkundigte sie sich.
»Verbrannt, nicht schlimm.«
»Lass mal sehen.« Sie griff nach ihrem Arm, bevor das Mädchen eine Chance hatte, sie abzuwehren, und inspizierte die Hand. Es war zu dunkel, um viel zu erkennen. »Glaubst du, du brauchst einen Arzt, oder reicht Kühlung?«
»Mach ich schon dauernd«, entgegnete sie und riss sich los. Sie sprang auf, ließ den weißen Fetzen achtlos zu Boden fallen und lief ans Ufer. Dort hockte sie sich hin und streckte die Hand vor. Sie hatte offenbar Mühe, das Gleichgewicht zu halten, wankte vor und zurück.
Marilene imitierte unwillkürlich die Bewegung, bevor sie endlich aufsprang. Zu spät: Mit einem Plumps landete die Kleine im Wasser, tauchte jedoch, dem Himmel sei Dank, augenblicklich wieder auf, lautstark fluchend. Sie eilte hinzu, reichte ihr die Hand und versuchte, sie herauszuziehen, ein schwieriges Unterfangen, wollte sie nicht selbst ein Bad nehmen. Doch schließlich gelang es ihr, sie wenigstens bis zur Taille zurück auf den Steg zu befördern, und den Rest schaffte sie allein, zog ein Bein nach dem anderen aus dem Wasser und wälzte sich in Sicherheit.
»Nasses Mädchen, schweres Mädchen«, keuchte Marilene und sank ermattet neben dem triefenden Bündel zu Boden.
Das Bündel schluchzte.
»Ist doch nichts weiter passiert«, versuchte Marilene zu trösten und klopfte dem Mädchen auf die Schulter.
»So was kann auch nur mir passieren«, kam es stockend.
»Nee«, widersprach Marilene, »solche Einlagen sind eigentlich mein Part. Und jetzt hoch mit dir«, befahl sie und traf eine Entscheidung, für die Lothar sie sicherlich tadeln würde, aber was blieb ihr anderes übrig? Sie konnte dies halbe Kind nicht sich selbst überlassen, egal, wie leichtsinnig es war, eine Wildfremde mit zu sich zu nehmen. »Wenn ich dich wirklich nicht doch noch nach Hause bringen soll, kommst du erst mal mit zu mir, damit wir dich trockenlegen können. Und dann erzählst du mir, was dich bedrückt, und wir schauen mal, was wir da machen können, in Ordnung?«
»Echt?«, das Bündel hob den Kopf. »Ich bin Antonia«, sagte es.
* * *
Lilian konnte nicht einschlafen. Frank schnarchte vor sich hin, nicht allzu laut, aber stetig, eine ungewohnte Geräuschkulisse. Bislang war er nur ausnahmsweise über Nacht geblieben, eigentlich nur, wenn sie ein Gläschen zu viel getrunken hatten und er nicht mehr fahren wollte, sonst hatte er vorgegeben, auf Antonias Gefühle Rücksicht nehmen zu wollen. Dabei hatte sie normalerweise eher den Eindruck, dass ihm herzlich gleichgültig war, was Antonia dachte. Sie hatte sich nie getraut nachzufragen, was der eigentliche Grund für sein nächtliches Verschwinden war. Den Part der nörgelnden Frau würde sie nicht spielen, niemals. Sie würde alles dafür tun, dass ihre Ehe Bestand hatte, und die Zeichen standen günstig, etwa nicht? Das eine Geheimnis, das Christian vertrieben
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