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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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die Augen hingebungsvoll geschlossen hatte. Und so hatte sie auch gesehen, wie Frank ihr zugezwinkert hatte, mit einem Blick, als wüsste er ganz genau, was sie dachte. Sie hatte versucht, sich nichts anmerken zu lassen, dabei hatte sie es doch gewusst, dass der nicht sauber war. Zu spät. Sie hatten die Dokumente unterschrieben. Eine umständliche Sache, denn ihre Mutter hatte natürlich ihre Brille vergessen. Und jetzt war es amtlich.
    Sie seufzte. Mal wieder. Der Laut schien mittlerweile zu ihr zu gehören wie ihre blauen Augen. Ein unabänderliches Merkmal. Sie musste sich das wieder abgewöhnen, sie selbst fand das schon nervig, was sollten erst die anderen denken? Es erinnerte sie an ihre Urgroßmutter. Die hatte auch permanent geseufzt und auf jede Rückfrage immer nur »Ach Kind« geantwortet, als wäre damit bereits alles klar gewesen. Jetzt verstand sie sie besser. Wahrscheinlich hatte auch sie sich Sorgen gemacht, wahrscheinlich um dieselbe Person. Sie fehlte ihr. Dabei war sie seit Langem tot, über zehn Jahre bestimmt, gestorben nur ein paar Wochen nach ihrem Mann. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie es gewesen war, aus dem Kindergarten nach Hause zu kommen, wie immer nach Uri zu rufen und keine Antwort zu bekommen. Nie mehr. Das war traurig gewesen. Trotzdem hatte sie jeden Mittag aufs Neue nach ihr gerufen. Bis ihre Mutter sie eines Tages angeschrien hatte. »Sie ist tot, begreif das doch endlich!«, hatte sie gebrüllt, und dann hatten sie beide geweint. Jetzt wäre es gut, mit Uri zu reden.
    Sie befingerte den Umschlag. Ihre Hände waren schweißnass, und sie hatte Kopfschmerzen. Bring es endlich hinter dich, feuerte sie sich an. Wo blieb Kathrin? Sie hatte nur noch schnell das Geschirr wegräumen und dann nachkommen wollen. Die Wohnungstür knallte. Sie hielt den Atem an und hoffte, wer immer das war, würde sie in Ruhe lassen. Bitte.
    »Na, Schwesterherz?«, dröhnte es lallend, »was geht ab?« Eddi, glaubte sie, der ältere der Brüder. Ausgerechnet. Gegen Kalle könnten sie sich wehren, zu zweit.
    »Nix, lass mich durch«, murmelte Kathrin.
    »Haste was Besseres vor, als nett zu deinem Bruder zu sein?«
    »Ich hab Besuch.«
    »Ach nee. Ich hab dir doch gesagt, dass du das lassen sollst. Hab ich nicht? Hier kommt kein fremder Kerl rein! Hab ich das gesagt?!«
    Kathrin röchelte nur.
    Antonia sprang auf und stopfte sich den Brief hinten in die Hose. Sie hatte nicht gewusst, dass es so schlimm war. Kathrin sagte zwar oft, ihre Brüder seien die Pest, aber von Gewalt war nie die Rede gewesen. Sie schnappte sich ihren Rucksack und riss die Tür auf. »Ich bin kein Kerl!«, schrie sie, »lass sie gefälligst los!«
    »Und wenn nicht?« Eddi grinste sie unverschämt an und drückte weiterhin mit dem Arm gegen Kathrins Kehle, während Kathrin kaum merklich den Kopf schüttelte, wie um sie zu warnen.
    Antonia holte weit aus und schwang den Rucksack gegen seinen Kopf. Eddi taumelte und griff sich an den Hals. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor, sie musste ihn mit einer der Schnallen getroffen haben.
    Kathrin war frei. Ihr Blick flog abwechselnd von ihr zu Eddi, blieb schließlich an ihr hängen. »Hau ab«, krächzte sie.
    »Komm mit«, drängte Antonia, »wir gehen –«
    »Hau! Ab!« Kathrin senkte den Kopf. »Und halt ja die Klappe, hörst du?«
    Eddi nahm die Hand vom Hals, drehte sie hin und her und betrachtete sie verwundert. Dann fixierte er sie.
    Wäre er ein Stier, würde er mit dem Huf scharren, schoss es Antonia durch den Kopf, bevor sie herumwirbelte und zur Tür hinausstürmte. Die drei Stockwerke kamen ihr geradezu endlos vor, nur nicht stürzen, beschwor sie sich, flog förmlich auf jedem Absatz um die Kurve. Eine Frau trat auf den Flur, einen Kinderwagen hinter sich herziehend.
    »Platz da!«, rief sie, und die Frau wich erschrocken zurück, während von oben Beschimpfungen durchs Treppenhaus hallten wie Donnergrollen. Unten, endlich, hoffentlich war die Haustür nicht abgeschlossen, flehte sie innerlich, und sie hatte Glück, war draußen. Und wenn nun ihr Fahrrad geklaut worden war? Nein, es lehnte noch an der Hauswand, nur der Korb, der war weg. Sie schleuderte sich den Rucksack auf den Rücken, öffnete mit zitternden Fingern das Schloss, schwang sich in den Sattel und trat wie verrückt in die Pedale, ohne viel sehen zu können vor lauter Tränen und ohne einen Gedanken an das Wohin zu verschwenden, weg, nur weg.
    * * *
    Marilene rieb sich die Augen und schaute auf ihre

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