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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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hab, wo Papa ist, hat sie noch schlimmer geheult, und dann hab ich gesehen, dass der Kleiderschrank auf seiner Seite leer war. ›Ist Papa weg?‹, hab ich gefragt, und sie hat genickt. ›Für immer?‹, hab ich gefragt, und sie hat wieder bloß genickt und weitergeweint. Und ich auch.«
    Antonia weinte herzzerreißend, jegliche Zurückhaltung dahin, und Marilene musste an sich halten, es ihr aus lauter Mitgefühl nicht gleichzutun. Gründlicher hätte sie nicht danebenliegen können, was die Ursache für diesen Kummer betraf. Sie sprang auf, um den Taschentuch-Vorrat zu ergänzen. Sie setzte sich neben Antonia, nahm sie sachte in den Arm und reichte ihr Tuch um Tuch, bis das Schluchzen in ein Wimmern überging und schließlich verebbte.
    »Voll peinlich«, murmelte Antonia mehr zu sich selbst.
    »Gar nicht«, entgegnete Marilene, »außerdem hast du allen Grund, traurig zu sein, das ginge mir an deiner Stelle ganz genauso. Habt ihr denn nie mehr was von ihm gehört?«
    »Nee, jedenfalls soweit ich weiß. Und wir haben auch nie mehr von ihm gesprochen. Ich hab versucht, im Internet was über ihn rauszukriegen, aber nichts gefunden. Ich wollte – ich hab wohl gehofft, dass ich ihn überreden kann, zurückzukommen, bevor – also, meine Mutter hat heute geheiratet.«
    »Das geht doch gar nicht«, entfuhr es Marilene.
    »Doch, leider. Sie war mit Christian nicht verheiratet.«
    »Ach so. Und du magst ihren Mann nicht? Warum?«
    »Keine Ahnung, das ist mehr so ein Gefühl, und wahrscheinlich spinn ich eh nur. Aber Frank guckt so komisch manchmal. Und er versucht, meiner Mutter klarzumachen, dass meine Freundin kein guter Umgang ist. Dabei geht den das doch gar nichts an! Über ihn finde ich übrigens auch nichts im Internet. Ist doch krass, oder?«
    »Hm.« Marilene nickte. Tatsächlich wusste sie nicht, wie leicht oder schwer es war, im Netz Hintergrundinformationen zu Personen zu eruieren, erst recht nicht, wenn diese es womöglich darauf anlegten, nicht gefunden zu werden. Allerdings kannte sie jemanden, der in dem Bereich so ziemlich jede Hürde überwinden könnte.
    »Also Mama und Frank«, fuhr Antonia fort, »die kennen sich schon ziemlich lange, drei, vier Jahre oder so, und ich hab das gar nicht richtig ernst genommen, weil … Er ist nur selten bei uns gewesen, und das Ganze kam mir mehr vor wie nur Freundschaft, wissen Sie? Und vor ein paar Monaten hieß es dann auf einmal, sie wollten heiraten, echt aus heiterem Himmel, da hab ich angefangen, nach Christian zu suchen. Ich hab ja nicht gewusst, dass er meinetwegen bestimmt nicht zurückgekommen wäre.« Sie ließ sich vornüberfallen, bis ihr Kopf nahezu auf den Knien anlangte.
    »Willst du deine Mutter nun darauf ansprechen?«, fragte Marilene.
    »Kann ich nicht bringen. Sie hat fünfzehn Jahre Zeit gehabt, mir beizubringen, dass mein Vater nicht mein Vater ist, und hat’s nicht getan. Vielleicht spart sie sich’s auf, bis ich achtzehn bin. Sie ist zu glücklich im Moment, und auch wenn ich Frank nicht ausstehen kann, es geht ihr so gut wie ewig nicht. Ich will nicht daran schuld sein, wenn sie wieder«, sie stockte, »na ja, abstürzt. Damals, das war echt heftig am Anfang. Manchmal hab ich sogar Angst gehabt, dass sie sich was antut. Und dann hätt ich niemanden mehr gehabt und ins Heim gemusst.«
    »Ach du Ärmste«, sagte Marilene. So leichtfertig junge Mädchen sich seit Hanni und Nanni ein Leben im Internat erträumten, so schrecklich die Vorstellung, in einem Heim zu leben und bis zur Volljährigkeit dort ausharren zu müssen. Eine Ewigkeit für ein Kind; erst später, viel später verginge ein Jahr in kaum mehr als einem Wimpernschlag. »Dann gibt es keine anderen Verwandten mehr?«, fragte sie.
    Antonia schüttelte den Kopf. »Mama ist bei ihren Großeltern aufgewachsen, und bei denen haben wir auch immer gewohnt, aber sie sind schon gestorben, als ich noch klein war.«
    Welche Tragödie, von der Antonia offensichtlich nichts wusste, mochte dahinter nun wieder lauern?, überlegte Marilene. »Okay«, sagte sie laut, »ich kenne jemanden, der so ziemlich alles herausfinden kann, aber die entscheidende Frage ist, ob du wirklich wissen willst, wer dein richtiger Vater ist. Oder auch nur, was aus Christian geworden ist. Das alles könnte ziemlich unerfreulich sein, und manchmal ist es besser, nicht jeden Stein umzudrehen.« Sage ausgerechnet ich, dachte sie.
    Antonia hob die Schultern, bis sie ihre Ohren verdeckten. »Das Gefühl hatte ich schon, als

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