Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
ins Esszimmer, bevor sie noch zwischen die Fronten geriet. Ihre Differenzen mussten sie allein klären, und sie wollte nicht gezwungen sein, Partei zu ergreifen. Natürlich hörte sie trotzdem zu. Und natürlich war sie keineswegs unparteiisch.
»Du solltest die Beziehung zu deiner ›Freundin‹ beenden, bevor du noch in etwas hineingezogen wirst, dessen Folgen du nicht abschätzen kannst. Was immer es ist, wofür eine Siebzehnjährige einen Anwalt braucht – gut ist es bestimmt nicht. Und du tust deiner Mutter auch keinen Gefallen, wenn sie sich um dich sorgen muss.«
»Muss sie nicht, ich weiß schon, was ich tue. Und es ist allein meine Entscheidung, mit wem ich befreundet bin und mit wem nicht«, entgegnete Antonia.
Lilian hatte diese Freundschaft immer unterstützt, obgleich ihr Kathrins Familienverhältnisse durchaus suspekt waren. Wenn sie nur an dieses missglückte Rendezvous mit deren Vater dachte. Grauslig. Aber diese Geschichte mit der Anwältin? Da würde sie schon nachhaken. Zu gegebener Zeit.
»Da irrst du dich«, sagte Frank, »weder weißt du, was du tust, noch sind solche Entscheidungen allein deine Sache. Denn du bist nicht die Einzige, die von den Folgen deiner Entscheidungen betroffen ist. Sagen wir mal, rein hypothetisch natürlich, dass Kathrin dich in etwas Illegales verwickelt. Dann haben wir früher oder später die Polizei hier im Haus. Kannst du dir vorstellen, was das für uns alle bedeutet? Vor allem für deine Mutter? Also überleg dir gut, was du tust. Ich werde mich nicht wiederholen.«
Sonst was?, überlegte Lilian. Irgendwie klang seine Ansprache bedrohlich. »Frühstück!«, rief sie fröhlich, um diese Auseinandersetzung zu beenden.
»Hab schon«, sagte Antonia und polterte die Treppe nach oben, wo sie türknallend in ihr Zimmer verschwand.
Lilian konnte es ihr nicht verdenken, trotzdem wünschte sie, dieser erste offizielle Tag als Familie hätte harmonischer begonnen. Wenn nur Frank nicht auf einmal glaubte, Antonias Erziehung übernehmen zu müssen. Sie konnte das ganz gut allein, hatte es schließlich bis hierher auch ohne ihn geschafft. Solange er noch nicht hier gelebt hatte, war es nur zu gelegentlichen Bemerkungen gekommen, einigermaßen dezent, sodass sie zumeist darüber hinweggehört und geglaubt hatte, damit kämen sie zurecht. Das hier nun war eine regelrechte Standpauke gewesen, etwas, das allein ihr obliegen sollte. Aber sie wusste beim besten Willen nicht, wie sie ihm das klarmachen sollte, ohne dass er es ihr übel nahm.
»Nun, meine Hübsche«, Frank setzte sich wieder zu ihr an den Tisch, »da wirst du wohl mal ein Machtwort sprechen müssen, sonst glaubt sie noch, sie kann uns auf der Nase rumtanzen.«
Uns. Sie hatte dieses Wort vermisst, wie man kein anderes vermissen konnte, war nach Christians Auszug kaum noch aus dem Haus gegangen, weil sie überall nur Paare gesehen hatte: ob streitend in einem Café, händchenhaltend beim Spaziergang oder knutschend im Kino, alle waren zu zweit. So hatte sie Antonia immer öfter allein ziehen lassen, weil sie selbst das nicht länger hatte ertragen können. Jetzt gehörte sie wieder dazu.
»Ja«, sagte sie also, das war es doch wert, »mach ich. Was meinst du«, fügte sie hinzu, »gehen wir heut Abend aus? Tanzen irgendwo? Oder ins Kino?« Sie brannte darauf, aller Welt ihren neuen Status vorzuführen.
»Wir waren doch gestern erst aus«, wandte Frank ein.
»Das zählt nicht als Ausgehen«, widersprach Lilian, »das war Hochzeit.«
»Ich dachte, du kochst uns was Schönes, und wir machen es uns hier gemütlich.«
»Na gut«, stimmte sie zu, »wie du magst.« Sie hoffte nur, gemütlich war wirklich, was er im Sinn hatte, nicht diesen überfallartigen Sex der letzten Nacht, zu heftig, zu dringlich, als dass sie sich dabei wohlgefühlt hätte. Sicherlich ein Ausrutscher, beruhigte sie sich. Bisher hatte sie den Eindruck gehabt, Sex habe für Frank gar keine so große Bedeutung. Wenn sie miteinander geschlafen hatten, war das fast beiläufig geschehen und sachte, und sie hatte sich gut aufgehoben gefühlt. Fast wie bei Christian, ihrem Mann der heilenden Hände, dachte sie wehmütig. Doch nun kratzten auf einmal Erinnerungen an ihrem Bewusstsein, ein schier nervtötendes Geräusch, das sich kaum verbannen ließ. Bilder, die sie lieber nicht sehen wollte, drängten empor und versetzten sie in eine andere Zeit, an einen anderen Ort. Einen Ort, den sie nie wieder hatte betreten wollen.
Fröstelnd zog sie die
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