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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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nachdenken.«
    »Ich werde warten.«
     
     
    Die Kälte überfiel Barcelona auf die übliche Art – wie ein Meteorit. Innerhalb eines knappen Tages konnten die Thermometer ihre eigenen Tiefstwerte nicht mehr lesen. Heerscharen von Wintermänteln wurden entmottet, um die leichten Übergangsmäntel zu ersetzen. Stählerne Himmel und Stürme, die in die Ohren bissen, bemächtigten sich der Straßen. Germán und Marina überraschten mich mit dem Geschenk einer wollenen Mütze, die ein Vermögen gekostet haben musste.
    »Sie soll die Gedanken beschützen, lieber Óscar«, erklärte Germán. »Nicht, dass Ihnen noch das Hirn einfriert.«
    Mitte November verkündete Marina, Germán und sie müssten für eine Woche nach Madrid fahren. Ein Arzt des La-Paz-Krankenhauses, eine echte Kapazität, hatte sich bereit erklärt, Germán einer Behandlung zu unterziehen, die sich noch im Experimentierstadium befand und in ganz Europa erst zweimal angewandt worden war.
    »Dieser Arzt soll Wunder wirken, ich weiß nicht …«, sagte Marina.
    Die Vorstellung, eine Woche ohne die beiden verbringen zu müssen, fiel wie eine Steinplatte auf mich. Vergeblich versuchte ich es zu verbergen. Marina las in meinem Inneren, als wäre ich aus Glas, und tätschelte mir die Hand.
    »Es ist ja nur eine Woche, weißt du, danach sehen wir uns wieder.«
    Ich nickte, ohne tröstende Worte für sie zu finden.
    »Gestern habe ich mit Germán über die Möglichkeit gesprochen, dass du in diesen Tagen Kafka und das Haus hütest …«, wagte sie sich vor.
    »Aber selbstverständlich, alles, was ihr wollt.«
    Sie strahlte.
    »Hoffentlich ist dieser Arzt so gut, wie man sagt«, bemerkte ich.
    Sie schaute mich lange an. Nach dem Lächeln ging von ihren aschfarbenen Augen ein entwaffnend trauriges Licht aus.
    »Hoffentlich.«
     
     
    Der Zug nach Madrid fuhr um neun Uhr vormittags vom Francia-Bahnhof ab. Ich war im Morgengrauen entwischt und hatte mit meinen Ersparnissen ein Taxi genommen, um Germán und Marina abzuholen und zum Bahnhof zu fahren. Dieser Sonntagmorgen war in bläulichen Nebel gehüllt, der sich unter dem zaghaft bernsteinfarbenen Tagesanbruch verflüchtigte. Den größten Teil der Fahrt schwiegen wir. Das Taxameter des alten Seat 1500 klapperte wie ein Metronom.
    »Sie hätten sich doch nicht in solche Unkosten zu stürzen brauchen, lieber Óscar«, sagte Germán.
    »Das sind keine Unkosten. Es ist eine Hundekälte, und schließlich soll uns nicht die Seele abfrieren, nicht wahr?«
    Im Bahnhof zog sich Germán in ein Café zurück, während Marina und ich am Schalter die vorbestellten Fahrkarten abholen gingen. Kurz vor der Abfahrt umarmte mich Germán so innig, dass ich beinahe in Tränen ausgebrochen wäre. Mit Hilfe eines Dienstmannes stieg er ein und ließ mich für den Abschied mit Marina allein. Im riesigen Bahnhofsgewölbe verhallte das Echo Tausender von Stimmen und Pfeifen. Wir schauten uns schweigend an, eher aneinander vorbei.
    »Also dann …«, sagte ich.
    »Vergiss nicht, die Milch zu wärmen, denn …«
    »… Kafka hasst kalte Milch, besonders nach einem Verbrechen, ich weiß. Der feine Herr Kater.«
    Der Bahnhofsvorsteher schickte sich an, mit seinem roten Fähnchen das Zeichen zur Abfahrt zu geben. Marina seufzte.
    »Germán ist stolz auf dich«, sagte sie.
    »Dafür gibt es keinen Grund.«
    »Wir werden dich vermissen.«
    »Das glaubst du nur. Los, geh schon.«
    Unversehens beugte sie sich vor und streifte mit ihren Lippen die meinen. Bevor ich auch nur mit der Wimper zucken konnte, war sie eingestiegen. Ich blieb stehen und sah den Zug im Nebel verschwinden. Nachdem das Fauchen der Lokomotive verklungen war, ging ich auf den Ausgang zu. Dabei dachte ich, dass ich Marina nie von der merkwürdigen Vision jener Gewitternacht in ihrem Haus erzählt hatte. Mit der Zeit hatte ich es selbst vorgezogen, das Ganze zu vergessen, und schließlich war ich überzeugt, mir alles nur eingebildet zu haben. Ich war bereits in der großen Eingangshalle des Bahnhofs, als ein Dienstmann etwas überstürzt auf mich zukam.
    »Das …, hier, das hat man mir für dich gegeben.«
    Er reichte mir einen ockerfarbenen Umschlag.
    »Ich glaube, Sie irren sich.«
    »Nein, nein. Diese Dame hat gesagt, ich solle ihn dir geben.«
    »Welche Dame?«
    Er wandte sich um und zeigte auf den Säulengang, der auf den Paseo Colón hinausführte. Dunstfäden zogen sich über die Eingangsstufen. Da war niemand. Der Dienstmann zuckte die Schultern und ging

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