Marina.
hatte. Ihr Mann nahm ihre blasse, zitternde Hand in die seinen. Als das Morgengrauen sie wie einen Hauch mitnahm, war sie bereits kalt.
Einen Monat nach ihrem Tod betrat Germán wieder sein Atelier auf dem Dachboden der Familienwohnung. Zu seinen Füßen spielte die kleine Marina. Er ergriff den Pinsel und versuchte eine Linie auf der Leinwand zu ziehen. Seine Augen füllten sich mit Tränen, und der Pinsel fiel ihm aus der Hand. Germán Blau malte nie wieder. Das Licht in seinem Inneren war für immer erloschen.
9
I m Lauf des Herbstes wurden meine Besuche bei Germán und Marina allmählich zu einem täglichen Ritual. Die Unterrichtsstunden verbrachte ich tagträumend und nur darauf wartend, zu dem geheimen Sträßchen entwischen zu können. Dort erwarteten mich meine neuen Freunde, außer montags, wenn Marina Germán ins Krankenhaus zum Arzt begleitete. Wir tranken Kaffee und plauderten in den halbdunklen Salons. Germán brachte mir die Anfangsgründe des Schachspiels bei. Trotz dieses Unterrichts setzte mich Marina immer in fünf oder sechs Minuten schachmatt, doch ich verlor die Hoffnung nicht.
Nach und nach wurde Germáns und Marinas Welt zur meinen, ohne dass ich es richtig gewahrte. Ihr Haus, die in der Luft schwebenden Erinnerungen wurden allmählich meine eigenen. So fand ich heraus, dass Marina nicht zur Schule ging, um ihren Vater nicht allein lassen zu müssen und ihn umsorgen zu können. Sie erklärte mir, Germán habe sie lesen, schreiben und denken gelehrt.
»Die ganze Geographie, Trigonometrie und Arithmetik der Welt taugt nichts, wenn du nicht selbständig denken lernst«, rechtfertigte sie sich. »Und das bringen sie einem in keiner Schule bei. Das steht nicht auf dem Lehrplan.«
Germán hatte seinen Geist der Welt der Kunst, der Geschichte, der Wissenschaft geöffnet. Die alexandrinische Bibliothek seines Hauses war zu seinem Universum geworden. Jedes seiner Bücher war eine Tür zu neuen Welten und neuen Gedanken. Eines Abends Ende Oktober setzten wir uns auf ein Fensterbrett im zweiten Stock, um die Lichter des Tibidabo in der Ferne zu betrachten. Marina gestand mir, ihr Traum sei es, Schriftstellerin zu werden. Sie hatte eine ganze Truhe voller Geschichten und Erzählungen, die sie seit ihrem neunten Lebensjahr geschrieben hatte. Als ich sie bat, mir etwas zu zeigen, schaute sie mich an, als wäre ich betrunken, und sagte, das komme überhaupt nicht in Frage. Das ist wie beim Schach, dachte ich. Nur nichts überstürzen.
Oft studierte ich Germán und Marina, wenn sie mich nicht beachteten. Spielend, lesend oder einander schweigend am Schachbrett gegenübersitzend. Das unsichtbare Band zwischen ihnen, diese abgeschiedene Welt, die sie sich fern von allem und allen errichtet hatten, war ein wunderbarer Zauber. Eine Fata Morgana, die ich manchmal mit meiner Gegenwart zu zerstören fürchtete. Es gab Tage, da ich mich auf dem Rückweg ins Internat als glücklichsten Menschen der Welt empfand, da ich diese Welt teilen durfte.
Ohne genau zu wissen, warum, hielt ich diese Freundschaft geheim. Ich hatte niemandem etwas von den beiden erzählt, nicht einmal meinem Kameraden JF . In wenigen Wochen waren Germán und Marina zu meinem geheimen Leben geworden und, wie ich ehrlicherweise sagen muss, zum einzigen Leben, das ich leben wollte. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem sich Germán zeitig zur Ruhe zurückzog, nachdem er sich wie immer mit seinen erlesenen Manieren eines Fin-de-Siècle-Kavaliers empfohlen hatte. Ich blieb mit Marina im Salon der Porträts allein. Sie lächelte mir rätselhaft zu und sagte, sie schreibe über mich. Diese Vorstellung erschreckte mich.
»Über mich? Was meinst du mit ›über mich schreiben‹?«
Sie genoss meine plötzliche Nervosität.
»Na?«, fragte sie. »Hast du vielleicht eine so geringe Meinung von dir, dass du glaubst, es lohne sich nicht, über dich zu schreiben?«
Auf diese Frage wusste ich keine Antwort. Ich beschloss, die Strategie zu ändern und in die Offensive zu gehen. Das hatte mir Germán in seinen Schachstunden beigebracht. Grundstrategie: Wenn man dich mit heruntergelassenen Hosen erwischt, dann schrei los und greif an.
»Na, wenn das so ist, wird dir nichts anderes übrigbleiben, als es mich lesen zu lassen.«
Unentschlossen zog sie eine Braue in die Höhe.
»Es ist mein gutes Recht, zu erfahren, was man über mich schreibt.«
»Vielleicht gefällt es dir ja nicht.«
»Vielleicht. Oder vielleicht doch.«
»Ich werde darüber
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