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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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zurück, und ich floh ans andere Ende der Küche. Während ich mich Schritt für Schritt zurückzog, suchte ich etwas, um mich zu verteidigen. Ich fand eine Schublade und zog sie auf. Besteck, Küchengeräte, Kerzen, ein Benzinfeuerzeug, unnützes Gerümpel. Instinktiv ergriff ich das Feuerzeug und versuchte es anzuknipsen. Vor mir erhob sich der Schatten des Wesens. Ich spürte seinen stinkenden Atem. Eine der Klauen näherte sich meinem Hals. Da entzündete sich das Feuerzeug und beleuchtete die nur zwanzig Zentimeter entfernte Gestalt. Ich schloss die Augen und hielt den Atem an, überzeugt, das Gesicht des Todes gesehen zu haben und nur noch warten zu können. Das Warten wurde ewig.
    Als ich die Augen wieder öffnete, hatte sich die Gestalt zurückgezogen. Ich hörte, wie sich ihre Schritte entfernten. Ich folgte ihr zu meinem Zimmer und glaubte ein Ächzen zu hören, ein Geräusch voller Schmerz oder Wut. Als ich bei meinem Zimmer angekommen war, schaute ich hinein. Das Geschöpf wühlte in meiner Tasche und nahm das Fotoalbum aus dem Gewächshaus an sich. Es wandte sich um, und wir schauten uns an. Für eine Zehntelsekunde umriss das gespenstische Nachtlicht den Eindringling. Ich wollte etwas sagen, doch das Geschöpf hatte sich bereits aus dem Fenster gestürzt.
    Ich lief hinterher und schaute hinaus in der Erwartung, den Körper ins Leere sausen zu sehen. Unwahrscheinlich schnell glitt die Gestalt die Abwasserrohre hinunter. Ihr schwarzes Cape flatterte im Wind. Dann sprang sie auf die Dächer des Ostflügels und wich einem Wald von Wasserspeiern und Türmen aus. Gelähmt verfolgte ich, wie sich die höllische Erscheinung panthergleich und mit unmöglichen Pirouetten unter dem Gewitter entfernte, als wären die Dächer von Barcelona ihr Dschungel. Ich sah, dass der Fensterrahmen voller Blut war, und folgte der Spur auf den Gang hinaus. Erst nach einer Weile begriff ich, dass es nicht mein Blut war. Ich hatte mit dem Messer ein menschliches Wesen verletzt. Ich lehnte mich an die Wand. Meine Knie gaben nach, und erschöpft sank ich in die Hocke.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so verharrte. Als ich endlich aufstehen konnte, beschloss ich, den einzigen Ort aufzusuchen, an dem ich mich sicher fühlen würde.

15
    B ei Marina angekommen, tastete ich mich durch den Garten um das Haus herum zum Kücheneingang. Zwischen den Fensterläden tanzte warmes Licht. Mit einem Gefühl der Erleichterung klopfte ich an und trat ein. Die Tür war nicht abgeschlossen. Trotz der späten Stunde schrieb Marina am Küchentisch bei Kerzenlicht in ihr Heft, Kafka auf dem Schoß. Als sie mich erblickte, fiel ihr die Feder aus der Hand.
    »Mein Gott, Óscar! Was …?« Sie besah sich meine zerrissenen, schmutzigen Kleider und berührte leicht die Kratzer in meinem Gesicht. »Was ist denn passiert?«
     
     
    Nach zwei Tassen heißen Tees schaffte ich es, Marina zu erzählen, was geschehen war – oder an was ich mich noch erinnerte, denn langsam begann ich an meinen Sinnen zu zweifeln. Sie hörte mir zu und nahm dabei meine Hand zwischen die ihren, um mich zu beruhigen. Ich musste noch übler aussehen, als ich gedacht hatte.
    »Macht es dir was aus, wenn ich die Nacht hier verbringe? Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Ins Internat zurück will ich nicht.«
    »Das würde ich auch nicht zulassen. Du kannst so lange bei uns bleiben wie nötig.«
    »Danke.«
    In ihren Augen erkannte ich dieselbe Unruhe, die auch an mir nagte. Nach dem, was diese Nacht geschehen war, war ihr Haus so sicher wie das Internat oder sonst ein Ort. Das Geschöpf, das uns verfolgt hatte, wusste uns überall zu finden.
    »Was sollen wir jetzt tun, Óscar?«
    »Wir könnten diesen Inspektor aufsuchen, den Shelley erwähnt hat, Florián, und auf diese Weise herausfinden, was da wirklich vor sich geht.«
    Sie seufzte.
    »Hör zu, vielleicht geh ich besser …«, sagte ich.
    »Unter keinen Umständen. Ich richte dir oben ein Zimmer, neben meinem. Komm.«
    »Und was – was wird Germán sagen?«
    »Er wird sich sehr freuen. Wir werden ihm sagen, du verbringst Weihnachten bei uns.«
    Ich folgte ihr treppauf. Noch nie war ich oben gewesen. Ein von eichenen Kassettentüren gesäumter Korridor lag im Licht des Leuchters. Mein Zimmer befand sich am Ende des Gangs neben demjenigen Marinas. Die Möbel sahen aus wie aus dem Antiquariat, aber alles war reinlich und aufgeräumt.
    »Die Laken sind sauber«, sagte Marina, während sie das Bett aufschlug. »Im Schrank gibt

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