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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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gemeinhin praktizierten Form einging, aber sein gütiges Professorenlächeln und sein scharfsinniger Optimismus räumten solch kleinliche Einwände leichthändig aus dem Weg. Jede Religion habe ihre Gläubigen, deren Übereifer sie fehlleite, sagte er, der Islam bilde da keine Ausnahme; jede Religion laufe Gefahr, von schlechten Menschen zweckentfremdet zu werden; die Vielfalt sei Gottes Geschenk an uns, und wir sollten ihn dafür lobpreisen. In ihrer gegenwärtigen Situation berührten sie am stärksten Abdullahs Verlautbarungen zur Notwendigkeit großmütigen Gebens und seine bewegenden Worte über die islamischen Verdammten dieser Erde, die ja letztlich ihrer beider Schäfchen waren.
    * * *
    Sonderbar getröstet von diesen unzusammenhängenden Überlegungen, fiel sie schließlich in einen tiefen Schlaf und erwachte frisch und voller Tatendrang.
    Und sie fühlte sich neuerlich getröstet, als sie das überfrohe Gesicht sah, mit dem Brue die Glastür zu Louises Restaurant aufstieß und auf sie zueilte, beide Hände vor sich ausgestreckt wie ein Russe. Sie hätte sogar ganz spontan Lust gehabt, das Restaurant Restaurant sein zu lassen und ihn auf einen Kaffee zu sich nach Hause einzuladen, einfach um ihm zu zeigen, wie sehr sie seine Freundschaft zu schätzen wußte, aber sie zügelte sich – sie hielt mit so vielem hinterm Berg, schien es ihr, daß schon ein unbedachter Moment genügte, und alles würde aus ihr herausgestürzt kommen, und dann würde sie es bitter bereuen und all die Menschen, denen sie Loyalität schuldete, ebenso.
    »Lassen Sie sehen, was trinken wir? Hm, nicht ganz mein Fall, fürchte ich«, sagte er mit einer Grimasse in Richtung ihrer Vanillemilch und bestellte sich statt dessen einen doppelten Espresso. »Apropos, wie geht es den Türken?«
    Türken? Welche Türken? Sie kannte keine Türken. Ihre Gedanken waren so verzettelt, daß sie einen Moment brauchte, um in der Menge der Gesichter, die sich in ihrem Kopf drängten, Melik und Leyla ausfindig zu machen.
    »Ach, gut«, sagte sie dann und sah etwas dümmlich auf ihre Uhr – jetzt mußten die beiden schon in der Luft sein, auf dem Weg nach Sankt Petersburg, nein, Ankara. »Sie fliegen zur Hochzeit meiner Schwester«, sagte sie.
    »Ihrer Schwester?«
    »Meliks Schwester«, verbesserte sie sich und hörte sich mit ihm um die Wette lachen über diesen Versprecher. Er sieht so viel jünger aus, dachte sie und beschloß, es ihm zu sagen. Was sie tat, und zwar mit einem so koketten Blick, daß sie sich sofort dafür schämte.
    »Guter Gott, finden Sie wirklich?« fragte er mit einem rührenden kleinen Erröten. »Na ja, ich habe auch ziemlich erfreuliche Neuigkeiten in der Familie, offen gestanden. Ja …«
    Das Ja sollte offenbar besagen, daß er derzeit nicht in der Lage war, Näheres zu enthüllen, wofür sie alles Verständnis der Welt hatte. Er war ein anständiger Mann, das wußte sie, und sie hoffte aufrichtig, daß sie lebenslange Freunde werden konnten, wenn auch nicht in der Weise, von der er im Zweifelsfall träumte. Oder waren das mehr ihre Träume als seine? Wie auch immer, höchste Zeit, daß sie andere Saiten aufzog. Auf Ernas Anraten hatte sie den Computerausdruck mitgenommen, den sie schon Issa gezeigt hatte, und dazu einen zweiten Ausdruck mit Dr. Abdullahs Telefonnummer, Privatanschrift und E-Mail-Adresse darauf, ebenfalls frei aus dem Internet beziehbar. All das fiel ihr auf einen Schlag wieder ein, und sie zog die Blätter eilig aus ihrem Rucksack, und mit einem raschen Blick in den goldgerahmten Spiegel hinter Brue drückte sie sie ihm in die Hand.
    »Das ist also Ihr Mann«, sagte sie in ihrem strengsten Ton. »Ein Experte in muslimischer Freigebigkeit.« Und während er noch verwirrt auf die Seiten hinuntersah – denn sie hatte ihm bisher ja nicht erklärt, was es damit auf sich hatte, irgendwie war sie noch nicht dazu gekommen, aber gleich würde sie es bückte sie sich schon wieder geschäftig nach dem Rucksack, diesmal, um ihm den uneingelösten Scheck über fünfzigtausend Euro hinzustrecken, für den sie ihm unbedingt nochmals danken mußte, so überschwenglich, daß er sich gar nicht mehr aufs Lesen konzentrieren konnte, und darüber mußten sie erneut beide lachen, und immerzu sahen sie sich in die Augen dabei, was sie normalerweise nicht zugelassen hätte, aber bei Brue durfte sie das, Brue vertraute sie, und überhaupt lachte sie ja noch viel lauter als er. Dann bekam sie sich wieder in den Griff und

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