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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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korrupt.«
    »Er ist nichts dergleichen. Er ist fromm, er lebt asketisch, und er ist ein hochangesehener Gelehrter, der bedeutende Bücher über die islamische Religion und die islamische Glaubenspraxis verfaßt hat«, konterte sie, ohne sich um das argwöhnische Lächeln zu kümmern, zu dem seine Mundwinkel sich verbogen.
    »In welcher Sprache sind diese Bücher geschrieben, Annabel?«
    »Arabisch. Aber sie sind in viele Sprachen übersetzt worden. Deutsch, Russisch, Türkisch, so gut wie jede Sprache, die einem nur einfällt. Er vertritt viele muslimische Wohltätigkeitseinrichtungen. Er hat außerdem etliche Schriften über das muslimische Gebot der Freigebigkeit verfaßt«, setzte sie vielsagend hinzu.
    »Annabel.«
    Sie wartete.
    »Versuchen Sie mir die Werke dieses Herrn Abdullah schmackhaft zu machen, damit ich mich dazu überreden lasse, Karpows schmutziges Geld anzunehmen?«
    »Und wenn es so wäre?«
    »Dann lassen Sie sich bitte schön gesagt sein, daß ich das niemals tun werde.«
    »O ja!« rief sie, am Ende mit ihrer Geduld. »Und ob ich mir das gesagt sein lasse!« War das echt? Oder nur gespielt? Sie wußte es nicht mehr. »Ich lasse mir gesagt sein, daß aus Ihnen niemals ein Arzt wird oder was immer Sie sich heute gerade einbilden. Und daß ich nie wieder ein normales Leben führen darf. Und daß Mr. Brue nie das Geld zurückbekommt, das er mir für Sie geliehen hat, weil jeden Moment die Polizei hier aufkreuzen wird und Sie findet und Sie in die Türkei oder nach Rußland abschiebt oder irgendwo noch viel Schlimmeres. Und das wird nicht Gottes Wille sein, sondern einzig und allein Ihre Dummheit und Borniertheit!«
    Schwer atmend, schäumend vor Wut und zugleich mit eiskalter Ungerührtheit sah sie, daß er aufgestanden war und durch das Bogenfenster auf die sonnenhelle Welt dort unten starrte.
    Wenn es sich ergibt, fahr ruhig auch mal aus der Haut – Günthers Rat. So, wie du an dem Abend aus der Haut gefahren bist, als wir dich von der Straße aufgelesen und dir ein bißchen beim Erwachsenwerden geholfen haben.
    * * *
    Als sie ins Aparthotel zurückkam, fand sie Erna Frey und Günther Bachmann euphorisiert, aber unschlüssig vor. Erna kam aus dem Loben gar nicht mehr heraus. Annabel hatte phantastische Arbeit geleistet, alle ihre Erwartungen übertroffen, sie kamen viel schneller voran, als sie je zu hoffen gewagt hatten. Die große Frage war nun: War es klüger, Issa einen ganzen Tag schmoren zu lassen, oder sollte Annabel in der Mittagspause unter einem Vorwand zurückkommen und die Gunst der Stunde nutzen, indem sie ihm Abdullahs Bücher zu lesen gab?
    Doch da machten sie die Rechnung ohne das jähe Stimmungstief, in das Annabel nach ihrem Triumph fiel. Zunächst bemerkten sie in ihrem Eifer gar nicht, wie düster sie an ihrem Tischende saß, das Gesicht in die Hand gestützt. Sie dachten, sie brauche nur ein wenig Ruhe nach der Anspannung. Dann strich Erna ihr über den Arm, und sie riß ihn weg, als hätte sie etwas gebissen. Aber mit launenhaften Agenten hatte Bachmann nichts am Hut.
    »Was soll der Mist?« herrschte er sie an.
    »Ich bin euer Lockvogel, stimmt’s?« murmelte Annabel in ihre Hand.
    »Du bist was?«
    »Erst ködere ich Issa. Dann ködere ich Abdullah. Dann schießt ihr Abdullah ab. Und das nennt ihr dann Menschenleben retten.«
    Mit ein paar Schritten war Bachmann um den Tisch herumgekommen und baute sich vor ihr auf.
    »So ein kompletter Schwachsinn!« schnauzte er ihr ins Ohr. »Solange du mitspielst, hat dein Freund seinen Persilschein sicher. Und zu deiner Information: Ich werde den Teufel tun und dem ehrwürdigen Abdullah auch nur ein einziges verdammtes Haar krümmen. Er gilt als Inbegriff der Toleranz und des friedlichen Miteinanders, und ich werde nicht dafür bezahlt, Krawalle loszutreten.«
    Sie einigten sich auf die Mittagsvariante. Annabel würde Issa einen Blitzbesuch abstatten, Abdullahs Bücher bei ihm abliefern, Zeitdruck vorschützen und am Abend zurückkommen, um zu hören, wie er es aufnahm. Sie stimmte allem zu.
    »Komm du mir jetzt nicht mit der sanften Tour, Erna«, warnte Bachmann, nachdem sie Annabel und ihr Fahrrad in den gelben VW-Bus verfrachtet hatten. »Für Rührstücke ist in dieser Operation kein Platz.«
    »Nenn mir eine, bei der das anders war«, sagte Erna Frey.
    Annabel und Issa saßen auf ihren üblichen Plätzen an entgegengesetzten Enden des Lofts. Inzwischen war es Abend. Annabel hatte ihre mittägliche Stippvisite absolviert und ihm

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