Marionetten
Vorsichtsmaßnahme: falls irgendein kleiner Mitarbeiter zufällig zuhörte, sollte er nicht auf dumme Gedanken kommen. Die Gespräche verliefen durchweg nach dem gleichen Muster. Eine einzige Verschriftung hätte im Grunde für alle ausgereicht:
»Zwölfeinhalb Tonnen in bester Qualität, mein Freund – amerikanische Tonnen, hast du verstanden? Ja, ganz recht, Tonnen. Jedes Korn davon zur Verteilung unter den Gläubigen bestimmt. Ja, du alter Esel! Tonnen. Hält Gott dir mit seinen gnadenreichen Händen die Ohren zu? Es gibt Auflagen, mußt du allerdings wissen. Nicht viele, aber dennoch Auflagen. Hörst du mir noch zu? Unsere unterdrückten tschetschenischen Brüder erhalten die erste Lieferung. Ihre Hungernden sollen als erste gespeist werden. Und wir werden mehr Ärzte ausbilden, Inshallah. Ist das nicht wunderbar? Auch in Europa. Einen Kandidaten haben wir schon!«
Dieses spezielle Telefonat wurde mit einem gewissen Scheich Rashid Hassan geführt, einem ehemaligen Kommilitonen Abdullahs aus Kairo, der jetzt in Weybridge im englischen Surrey lebte. Darum war es vielleicht auch das längste und vertraulichste der Gespräche. Allerdings endete es kryptisch, ein Umstand, den die Auswerter getreulich vermerkten:
Unser guter Freund wird dich später sicherlich anrufen, um zu klären, was sonst noch zu klären ist, verspricht Abdullah. Die Antwort ist ein unverbindliches Brummen.
Um 19.42 Uhr erscheinen die ersten Livebilder:
Aufnahmen von MEILENSTEIN, der zur Haustür herauskommt, sehr europäisch anmutend in einem fahlen Burberry-Trenchcoat, auf dem Kopf eine Schirmmütze englischen Stils. Er ist allein. Ein schwarzer Volvo wartet vor seinem Gartentor, die Tür zum Fond steht offen.
Anmerkung der Auswerter: Der Volvo ist auf eine türkische Autovermietungsfirma im fernen Flensburg zugelassen. Weder gegen die Firma noch gegen ihre Eigentümer liegt etwas vor.
MEILENSTEIN läßt sich von dem älteren seiner beiden Wachmänner in den Fond des Volvo helfen; der Mann selbst nimmt neben dem Fahrer Platz. Die Überwachungskamera wechselt die Perspektive, schwenkt hinter dem Volvo ein und folgt ihm. Fromme Männer fahren ungern selber, sinniert Bachmann. Er beobachtet den Leibwächter auf dem Beifahrersitz, der seinerseits Rück- und Seitenspiegel im Blick hat.
Der Volvo fährt auf die Autobahn auf, Richtung Nordosten. Zwanzig Kilometer, vierzig Kilometer, siebenundfünfzig Kilometer. Es beginnt zu dämmern. Das Bild nimmt den pelzigen Grünton des Nachtsichtobjektivs an. Die ganze Strecke über dreht sich der Kopf des Leibwächters zwischen den Autospiegeln hin und her. Als der Volvo auf einen Rastplatz einbiegt, erhöht sich seine Wachsamkeit noch.
Der Leibwächter steigt aus dem Auto aus und uriniert, wobei er sich suchend umsieht, vermutlich nach Hinweisen auf eventuelle unerwünschte Zeugen. Er starrt in die Kamera, faßt offensichtlich Mohrs Überwachungsfahrzeug ins Auge, das fünfzig Meter hinter ihm geparkt steht.
Wieder am Volvo angelangt, öffnet er die hintere Tür und steckt den Kopf hinein. MEILENSTEIN steigt aus und stapft zu einer Telefonzelle am Ostende des Rastplatzes, eine Hand auf die Schirmmütze gedrückt, damit der Wind sie ihm nicht wegbläst. Er betritt die Telefonzelle und schiebt die bereits gezückte Kreditkarte in den Schlitz. Idiot, denkt Bachmann. Aber vielleicht gehört die Karte ihm ja sowenig wie der Volvo.
Noch während MEILENSTEIN wählt, erscheint am unteren Rand eines der Bildschirme ein Name. Es ist derselbe Scheich Rashid Hassan in Weybridge, den MEILENSTEIN am späten Nachmittag von daheim aus angerufen hat. Aber seitdem scheint etwas Merkwürdiges mit MEILENSTEINS Stimme passiert zu sein, die mit Verspätung und ein wenig taktverschoben von der technischen Aufklärung in Berlin eingefangen wird.
Selbst Bachmann ist zunächst völlig aufgeschmissen. Er muß die Simultanübersetzung auf dem Nachbarbildschirm zu Hilfe nehmen. MEILENSTEIN spricht Arabisch, das ja, aber in einer derben ägyptischen Mundart, von der er offenbar annimmt, daß kein etwaiger Lauscher daraus schlau werden kann.
Nun, da täuscht er sich. Der Simultandolmetscher, wer immer er ist, muß ein Genie sein. Er gerät nicht ins Stocken:
MEILENSTEIN: Ist da Scheich Rashid?
RASHID: Ich bin Rashid.
MEILENSTEIN: Hier spricht Faisal, der Cousin Ihres ehrwürdigen Schwiegervaters.
RASHID: Worum geht es?
MEILENSTEIN: Ich habe eine Nachricht für ihn. Können Sie ihm etwas ausrichten?
RASHID:
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