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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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dem goldblitzenden Lächeln.
    Brue stampfte durchs Erdgeschoß, während sie sein Reich entweihten. Aber obwohl er mit Argusaugen nach Beschädigungen ausspähte, vermochte er nicht die geringste Spur ihres Tuns zu entdecken. Und als er seine eigenen Räumlichkeiten wieder in Besitz nahm, wirkten auch sie unberührt.
    Mit hohlen Respektsbezeigungen rückten die Männer ab, und Brue, wieder allein und mit einem Schlag grundeinsam, ließ sich an seinem Schreibtisch niedersacken, zu ausgelaugt, um auch nur die Hand nach dem Stoß vergilbter Lipizzanerdokumente auszustrecken, die Frau Ellenberger ihm herausgesucht hatte.
    Doch bald gewann ein anderer Brue die Oberhand, ob der alte oder eine neue Ausgabe seiner selbst, war nebensächlich. Dieser Brue hielt sein Haupt hocherhoben. Die Hände in die Taschen gestemmt, ging er mit langen Schritten durchs Zimmer und fixierte scharf den originalen, den handgemalten Stammbaum, der ihm fünfunddreißig Jahre lang tagtäglich seine Unzulänglichkeit vor Augen geführt hatte. Na, haben unsere deutschen Freunde dich auch verwanzt? Bespitzelt mich der große Gründer höchstselbst bei allem, was ich tue?
    Soll er nur. Ein paar Wochen noch, dann spitzelt er aus einem Müllcontainer.
    Er schwang auf dem Absatz herum und starrte herausfordernd durchs Zimmer: mein Zimmer, mein Schreibtisch, mein verdammter stummer Diener von Randall’s of Glasgow, mein Bücherschrank: nicht der meines Vaters oder seines Vaters oder dessen Vaters. Und die Bücher darin, auch wenn ich sie nie aufgeschlagen habe: meine Bücher. Höchste Zeit, daß das einmal klargestellt wurde; höchste Zeit auch, daß er es sich klarmachte. Mit denen ich tun kann, was mir paßt. Sie verbrennen, sie verkaufen, sie an die Verdammten dieser Erde verschenken.
    Ich muß mich an keinen mehr anwanzen. Verwanzt bin ich selber, haha.
    Und nachdem er diese kleine Unbotmäßigkeit erdacht hatte – und sie gedreht und gewendet und sich an ihr ergötzt hatte –, wiederholte er sie vernehmlich: artig und in gepflegtem Englisch erst für Lantern, dann für Lanterns deutsche Freunde und schließlich für die Zuhörer in aller Welt. Waren sie schon zugeschaltet? Scheiß drauf.
    Als nächstes ging er mit viel Liebe daran, den Schauplatz des Geschehens herzurichten: Issa sitzt da, Abdullah dort drüben, und ich klemme mich hier hinter meinen Schreibtisch.
    Und Annabel?
    Annabel muß nicht mit der zweiten Reihe vorliebnehmen, besten Dank. Nicht unter meinem Dach. Sie ist mein Gast, und sie wird verdammt noch mal so behandelt, wie ich finde, daß sie es verdient.
    Sein aufmüpfiger Blick fiel auf den Sessel seines Großvaters in der dunklen Ecke, in die er ihn abgeschoben hatte, den scheußlichen, schnörkelreichen Sessel mit dem Brueschen Wappen auf der Rückenlehne und den Brueschen Schottenkaros auf der verschossenen Polsterung. Er zog ihn aus seiner Verbannung hervor, dekorierte ihn mit ein paar Kissen und trat dann einen Schritt zurück, um sein Werk zu bewundern: so sitzt sie am liebsten, kerzengerade – und wehe dem, der sich ihr zu nähern wagt!
    Zum krönenden Abschluß ging er zu dem Kühlschrank in der Nische, holte zwei Flaschen stilles Mineralwasser heraus und stellte sie auf dem Couchtisch bereit, damit sie bis zu Annabels Ankunft Zimmertemperatur angenommen hätten.
    Er liebäugelte kurz mit einem Scotch, wenn er schon dabei war, widerstand der Versuchung aber. Nur ein wichtiger Punkt stand noch auf dem Programm, ehe die abendliche Besprechung ihren Lauf nehmen konnte, und er freute sich schon darauf.
    * * *
    Brue hatte auf dem Atlantic bestanden, ohne dafür Gründe zu nennen, und nach kurzer Rücksprache hatte Lantern brav zugestimmt. Die Zeit war sieben Uhr, genau wie bei seinem ersten Treffen mit Annabel. Die gleichen Parfumdüfte schwängerten die Hotelhalle. Das gleiche Stimmengewirr hallte von der Bar herüber. Derselbe Herr Schwarz hatte Dienst, und derselbe Klavierspieler klimperte seine unbeachteten Liebesweisen, als Brue seinen Posten unter denselben Schiffahrtsgemälden wie neulich bezog, den Blick auf dieselbe Drehtür gerichtet.
    Nur das Wetter tanzte aus der Reihe. Eine tiefstehende Frühlingssonne schickte ihre Strahlen die Straße entlang und machte die Menschen freier und größer. Zumindest erschien es Brue so, vielleicht, weil er sich selbst freier und größer fühlte.
    Er war früh gekommen, aber Lantern und seine beiden Jungs waren noch früher dagewesen und saßen wie drei mittelsmarte Manager

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