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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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zwischen Brues Ecke und der Drehtür, vermutlich um ihm den Weg abzuschneiden, falls er mit Issas Paß zu türmen versuchte. Auf der anderen Seite des Ganges, gleich neben der Tür zur Bar, saßen die beiden Frauen, die Annabel im Café Louise beigesprungen waren. Auch jetzt wirkten sie sprungbereit: muffig und methodisch konferierten sie über einem Stadtplan, dem ihre Aufmerksamkeit sichtlich nicht galt.
    Sie kam ohne ihren Rucksack.
    Das war das erste, was Brue ins Auge fiel, als sie durch die Drehtür kam. Kein Rucksack, ein langsamerer Schritt, kein Fahrrad. Ein sandfarbener Volvo hatte sie vor der Tür abgesetzt, kein Taxi, also mußte es der Wagen ihrer Betreuer sein.
    Sie trug dasselbe Tuch um den Hals, das sie für den Besuch bei den Oktays zum Hijab umfunktioniert hatte. Das amtlich-strenge Schwarz ihres Rocks und der langärmligen Bluse und Jacke befremdete ihn einen Moment lang. Es ließ sie aussehen wie eine Anwältin unmittelbar vor oder nach einem Auftritt bei Gericht – bis er sich bewußtmachte, daß auch er für den heutigen Termin mit Dr. Abdullah seinen dunkelsten Anzug gewählt hatte.
    »Wasser?« fragte er beflissen. »Ohne Zitrone? Zimmertemperatur? Die gleiche Mischung wie letztes Mal?«
    Sie sagte »Ja bitte«, lächelte aber nicht.
    Er bestellte zwei Wasser, für sich auch eines. Bei der Begrüßung hatte er nicht mehr als einen verdeckten Blick in ihr Gesicht riskiert, aus Angst vor dem, was er sehen würde. Sie wirkte abgespannt, übernächtigt. Ihre Lippen waren zu einem beherrschten Strich zusammengepreßt.
    »Und Sie sind ebenfalls mit Leibgarde hier, wie ich sehe«, fuhr er im gleichen leutseligen Ton fort. »Sollen wir ihnen eine kleine Aufmerksamkeit hinüberschicken? Ein Fläschchen Champagner, was meinen Sie?«
    Achselzucken à la Georgie.
    Er drehte auf, nur für sie. Er spielte den schrulligen Engländer. Er blödelte, wo kein Geblödel am Platz war, aber ein anderer Weg fiel ihm nicht ein. Er war ein alter Schmierenkomödiant, der sie auf ihren großen Auftritt einstimmen und ihr zeigen wollte, daß er sie liebte.
    »Mir scheint ja, daß Sie bewachungstechnisch ein bißchen unterversorgt sind, Annabel. Nach dem Aufgebot an Anstandswauwaus zu urteilen jedenfalls. Sie haben nur zwei dabei, während ich drei habe. Meine sitzen da drüben, wenn Sie einen Blick auf sie werfen möchten.« Er gestikulierte ausladend in ihre Richtung. »Der kurzgeratene Knabe im Anzug ist der führende Kopf bei ihnen. Lantern heißt er. Ian Lantern von der Britischen Botschaft in Berlin, Sie können sich jederzeit beim Botschafter über ihn erkundigen. Die anderen beiden sind – na ja, ein bißchen minderbemittelt, wenn ich ehrlich sein soll. Nicht allzuviel zwischen den Ohren. Sie sind ebenfalls mit einer Abhörvorrichtung ausgestattet, nehme ich doch an?«
    »Ja.«
    War das der Ansatz eines Lächelns gewesen? Er glaubte, ja. »Gut. Dann ist uns zumindest ein angemessenes Publikum sicher. Oder glauben Sie« – wie von einer plötzlichen Angst gepackt –, »oder glauben Sie, daß Ihre Wauwaus nur Sie hören können und meine nur mich? Nein, das ist undenkbar, oder? Ich bin ja kein Elektronikfachmann, aber sie können nicht auf verschiedenen Wellenlängen sein – oder doch?« Besorgt spähte er über ihre Schulter hinweg nach rechts und nach links. »Ich muß aufhören, mir solche Gedanken über sie zu machen«, schalt er sich kopfschüttelnd. »Schließlich sind wir heute die Stars. Sie sind nur unser Publikum. Zum Zuhören verdammt«, erklärte er und wurde mit einem Lächeln belohnt, das so herzergreifend war, so gänzlich ohne Abwehr, daß er sich in eine völlig neue Dimension der Seligkeit entrückt fühlte.
    »Und Sie haben seinen Reisepaß«, sagte sie, immer noch mit diesem Lächeln. »Ich habe erfahren, wie gütig Sie waren.«
    »Gütig, also ich weiß nicht. Ich dachte einfach, Sie würden wahrscheinlich gern einen Blick darauf werfen. Ich dachte, ich würde gern einen Blick darauf werfen. Heutzutage kann man sich ja gar nicht genug vorsehen. Aushändigen darf ich ihn Ihnen leider nicht. Ich darf ihn Ihnen nur zeigen, und dann geht er zurück an den jungen Mr. Lantern zu unserer Rechten, der ihn einem von Ihren Leuten zurückgeben wird, der ihn freischalten wird, falls das das richtige Wort ist, sobald unser Klient sein Vorhaben – unser aller Vorhaben – verwirklicht hat.«
    Er hielt ihr den Paß hin. Nicht verstohlen, nein, er reichte ihn ihr über den Tisch, so demonstrativ, daß

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