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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Liebeslieder klimperte, denen keiner zuhörte.
    * * *
    »Und Ihre Stiftung wird von wem finanziert?« erkundigte sich Brue in seinem sachlichsten Ton.
    Sie zuckte die Achseln. »Diversen Kirchen. Der Stadt Hamburg, wenn sie ein paar Tugendpunkte sammeln will. Wir kommen über die Runden.«
    »Und wie lange sind Sie schon im Geschäft? – Ihre Organisation, meine ich.«
    »Im Geschäft sind wir gar nicht. Wir arbeiten unentgeltlich. Fünf Jahre.«
    »Und Sie selbst?«
    »Zwei. Plus, minus.«
    »Vollzeit? Sie sind nicht irgendwo in einer Kanzlei?« – will sagen: Arbeiten Sie schwarz? Verdienen sich ein kleines Zubrot als Erpresserin?
    Aber sie war das Verhörtwerden leid.
    »Ich habe einen Mandanten, Mr. Brue. Eigentlich wird er von Fluchthafen Hamburg vertreten. Aber vor kurzem hat er mich als Rechtsbeistand für seine Bankangelegenheiten bevollmächtigt und sein Einverständnis gegeben, daß ich mich mit Ihnen in Verbindung setze. Was ich hiermit tue.«
    »Sein Einverständnis?« – das in seine Mundwinkel geschraubte Lächeln noch eine Spur breiter.
    »Den Auftrag. Wo ist der Unterschied? Wie ich Ihnen am Telefon schon angedeutet hatte, ist die rechtliche Stellung meines Mandanten prekär. Er ist mir gegenüber nur begrenzt offen, genau wie ich Ihnen gegenüber nur begrenzt offen sein kann. Nach einer mehrstündigen Unterhaltung mit ihm neige ich zu der Ansicht, daß das wenige, was er mir sagt, die Wahrheit ist. Nicht die ganze Wahrheit, aber immerhin ein kleiner Teil davon – für mich aufbereitet, aber dennoch die Wahrheit. Das ist eine Abwägung, die wir in meiner Organisation treffen müssen. Wir müssen uns mit dem wenigen begnügen, das man uns an die Hand gibt, und damit arbeiten. Wir möchten lieber die Dummen sein als zynisch. Das macht uns aus. Dafür stehen wir«, fügte sie hinzu, trotzig, so als unterstellte sie, Brue sei die umgekehrte Sicht der Dinge lieber.
    »Ich verstehe, was Sie sagen wollen«, versicherte er ihr. »Ich respektiere es voll und ganz.« Er spielte auf Zeit. Darin war er gut.
    »Unsere Klienten sind keine normalen Klienten in Ihrem Sinne, Mr. Brue.«
    »Meinen Sie? Ich bin mir nicht sicher, ob ich je einen normalen Klienten kennengelernt habe« – wieder so ein Scherz, der an ihr abprallte.
    »Unsere Klienten sind eher, was Frantz Fanon die Verdammten dieser Erde nannte. Kennen Sie das Buch?«
    »Nur vom Titel her, leider.«
    »Sie sind praktisch staatenlos. Oft sind sie traumatisiert. Ihre Angst vor uns ist ebenso groß wie ihre Angst vor der Welt, in die sie gekommen sind, und der Welt, die sie hinter sich gelassen haben.«
    »Ich verstehe.« Aber er verstand gar nichts.
    »Mein Mandant glaubt, zu Recht oder zu Unrecht, daß Sie seine Rettung sind, Mr. Brue. Sie sind der Grund, warum er nach Hamburg gekommen ist. Dank Ihnen wird er in Deutschland bleiben dürfen, eine Aufenthaltserlaubnis bekommen und studieren. Ohne Sie muß er in die Hölle zurück.«
    Brue erwog ein »Ach herrje« oder »Wie traurig«, aber ihr unnachgiebiger Blick ließ ihn davon Abstand nehmen.
    »Er ist der Meinung, er braucht lediglich Herrn Lipizzaner zu erwähnen und Ihnen eine bestimmte Kennummer vorzulegen – für wen oder was, weiß ich nicht und er vielleicht auch nicht, und simsalabim, öffnen sich ihm alle Türen.«
    »Darf ich fragen, wie lange er schon hier ist?«
    »Ein paar Wochen, mehr oder weniger.«
    »Und er hat bis jetzt gebraucht, um Kontakt mit mir aufzunehmen, obwohl ich angeblich der Grund für sein Kommen bin? Das finde ich ein bißchen schwer nachvollziehbar.«
    »Er war verängstigt und in sehr schlechter Verfassung, als er hier ankam, er kannte keine Menschenseele. Er ist zum erstenmal im Westen. Er spricht kein Deutsch.«
    Er setzte zu einem erneuten »Verstehe« an, schluckte es aber hinunter.
    »Außerdem findet er es – aus Gründen, die hier zu weit führen würden – unerträglich, daß er sich überhaupt an Sie wenden muß. Die meiste Zeit erscheint es ihm erstrebenswerter, einfach den Kopf in den Sand zu stecken und zu verhungern. Aber angesichts seiner Situation hier sind Sie dummerweise die einzige Chance, die er hat.«
    * * *
    Nun war Brue an der Reihe, aber womit? Wenn du in einem Loch steckst, grab nicht noch tiefer, Tommy, bau nur deine Verteidigung aus. Sein Vater, wieder einmal.
    »Verzeihen Sie, Frau Richter«, begann er in respektvollem Ton, der jedoch in keiner Weise durchklingen ließ, irgend etwas an seinem Verhalten könnte ihrer Verzeihung

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