Marionetten
einen Imam eingeschossen, der derzeit in Moskau lebt und dubiosen islamischen Wohltätigkeitseinrichtungen Gelder zuschanzt. Die Russen wissen von seinen Aktivitäten. Er weiß, daß sie davon wissen. Warum sie ihn trotzdem weitermachen lassen, begreift keiner. In der Zentrale sind sie überzeugt, daß der Imam der geheimnisvolle Freund des Mafiabosses ist. Nicht, daß er ansonsten in der Reputation stünde, russisch-tschetschenischen Exhäftlingen die Flucht zu finanzieren, damit sie in Hamburg Medizin studieren können. Ach ja, und seinen Mantel hat er ihm geschenkt.«
»Wer?«
»Der gute Bruder, der unseren Jungen nach Hamburg gebracht hat. Er wollte nicht, daß er sich im eisigen Norden den Tod holt. Also hat er ihm seinen Mantel gegeben, damit er es wärmer hat. Einen langen schwarzen Mantel. Und ich hab noch einen Leckerbissen für dich.«
»Nämlich?«
»Igor auf der anderen Hofseite hat eine hochgeheime Quelle am Busen der russisch-orthodoxen Gemeinde in Köln.«
»Und?«
»Igors verwegenem Informanten zufolge haben weltferne orthodoxe Nonnen in einer Stadt unweit von Hamburg kürzlich einem jungen russischen Muslim Obdach gewährt, der sehr hungrig und ein klein bißchen verrückt war.«
»Und reich?«
»Von seinen finanziellen Verhältnissen war nicht die Rede.«
»Aber höflich?«
»Sehr. Igor trifft seinen Informanten heute abend unter dem Siegel der Verschwiegenheit, um die Bezahlung für den Rest der Geschichte auszuhandeln.«
»Igor ist ein Arschloch, und seine Geschichten sind ein Haufen Scheiße«, erklärte Bachmann, schob die Papiere auf seinem Schreibtisch zusammen und stopfte sie in eine alte, zerschrammte Aktenmappe, die kein Dieb freiwillig angerührt hätte.
»Wo willst du hin?« erkundigte sich Erna Frey.
»Über den Hof.«
»Und wozu?«
»Um unseren wackeren Verfassungsschützern zu verklickern, daß das hier unser Fall ist. Und daß sie uns die Polizei vom Hals halten sollen. Damit die für den unwahrscheinlichen Fall, daß sie ihn allen Ernstes aufspürt, gütigst nicht zugreift und einen kleinen Weltkrieg vom Zaun bricht, sondern sich außer Sicht hält und statt dessen uns Bescheid sagt. Ich will, daß der Junge haargenau das tut, wozu er hergekommen ist, und zwar solange es irgend geht.«
»Du hast deine Schlüssel vergessen«, sagte Erna Frey.
4
Wenn Sie schon mit dem Taxi kommen, fahren Sie wenigstens nicht bis vors Lokal.
Ähnlich kompromißlos waren Annabel Richters Direktiven bezüglich Brues Kleidung ausgefallen. Anzug ist für meinen Mandanten gleichbedeutend mit Geheimpolizei. Je legerer, desto besser. Das Beste, womit er dienen konnte, waren graue Flanellhosen, das Sportjackett von Randall’s of Glasgow, das er im Golfclub trug, und sein Aquascutum-Trenchcoat für den Fall, daß ein neuerlicher Wolkenbruch niederging. Zum weiteren Zeichen seines guten Willens war er ohne Krawatte unterwegs.
Eine milchige Dunkelheit hatte sich über die Stadt gesenkt. Nach dem Guß von vorhin war der Himmel nun wieder klar. Von der Binnenalster wehte eine kühle Brise herüber, als er ins Taxi stieg und dem Fahrer Annabels Wegbeschreibung wiederholte. Abgesetzt in einer unvertrauten, ärmlichen Gegend, fühlte er sich im ersten Moment verloren, doch dann erspähte er das versprochene Straßenschild. Vor einem türkischen Lebensmittelladen leuchtete das Obst in grellem Rot und Grün. Das weiße Licht des Döner-Lokals gleich daneben fiel quer über die Straße. Drinnen saß an einem Ecktisch mit purpurroter Tischdecke Annabel Richter, vor sich eine Flasche stilles Mineralwasser und eine beiseite geschobene Schüssel mit einem braungezuckerten Brei, der Brue ungut an den Sagoauflauf aus Internatstagen erinnerte.
An einem Nebentisch vier alte Männer, die Domino spielten. An einem anderen ein nervös flirtendes junges Pärchen,er im guten Anzug, sie im Kleid. Annabels Anorak hing über ihrer Stuhllehne. Sie trug einen weiten Pullover und dieselbe hochgeschlossene Bluse wie zuvor. Auf dem Tisch lag ein Handy, der Rucksack stand zu ihren Füßen. Als er ihr gegenüber Platz nahm, stieg ihm aus ihren Haaren ein warmer Duft entgegen.
»Prüfung bestanden?« fragte er.
Sie ließ den Blick über das Sportjackett und die Flanellhose wandern. »Was haben Sie in Ihrem Archiv gefunden?«
»Daß der Sachverhalt nach einer eingehenderen Prüfung verlangt.«
»Mehr haben Sie mir nicht zu erzählen?«
»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider nicht.«
»Dann will ich Ihnen kurz ein paar
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