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Marionetten

Marionetten

Titel: Marionetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Dinge erzählen, die Sie noch nicht wissen.«
    »Davon gibt es sicher mehr als genug.«
    »Punkt eins: Er ist Muslim. Gläubiger Muslim. Deshalb tut er sich schwer mit einem weiblichen Rechtsbeistand.«
    »Was es für Sie vermutlich auch nicht einfacher macht.«
    »Er möchte, daß ich ein Kopftuch trage, also trage ich eins. Er möchte, daß ich seine Traditionen respektiere, also respektiere ich sie. Er benutzt seinen muslimischen Namen, Issa. Wie ich Ihnen schon sagte, spricht er Russisch und mit den Leuten, die ihn bei sich aufgenommen haben, ein gebrochenes Türkisch.«
    »Darf man fragen, was das für Leute sind?«
    »Eine türkische Witwe mit ihrem Sohn. Ihr Mann wurde von Fluchthafen betreut. Wir hätten ihm fast die Staatsbürgerschaft erkämpft, aber dann ist er gestorben. Jetzt bewirbt sich der Sohn darum, für die Familie. Das heißt, es geht wieder ganz von vorn los, und zwar für jedes Familienmitglied einzeln. Deshalb hat er es auch mit der Angst bekommen und uns angerufen. Sie mögen Issa von Herzen gern, aber sie wollen ihn loswerden. Sie machen sich Sorgen, daß man sie ausweist, weil sie einem illegalen Einwanderer Unterschlupf gewährt haben. Sie lassen sich diese Angst nicht ausreden, und vielleicht ja sogar zu Recht. Sie wollen außerdem in die Türkei fliegen, zur Hochzeit der Tochter beziehungsweise Schwester, und sie möchten ihn auf gar keinen Fall allein zurücklassen. Die beiden kennen Ihren Namen nicht. Issa kennt ihn, aber er behält ihn für sich. Sie sind jemand, der in der Lage ist, Issa zu helfen, mehr nicht. Können Sie sich mit dieser Beschreibung anfreunden?«
    »Ich glaube schon.«
    »Sie glauben es nur?«
    »Ich kann mich damit anfreunden.«
    »Außerdem mußte ich ihnen versprechen, daß Sie ihre Namen nicht an die Behörden weitergeben.«
    »Warum in aller Welt sollte ich das tun?«
    Ohne seine dienstbereit ausgestreckte Hand zu beachten, kämpfte sie sich in ihren Anorak und hängte sich den Rucksack über die Schulter. Auf dem Weg zur Tür bemerkte Brue einen hünenhaften jungen Mann, der den Gehsteig auf und ab patrouillierte. Sie folgten ihm in respektvollem Abstand und bogen in eine Seitenstraße. Mit wachsender Entfernung schien auch der Junge immer größer zu werden. Vor einer Apotheke ließ er einen prüfenden Blick über die geparkten Autos, die Fenster der Häuser und zwei nicht mehr ganz junge Frauen wandern, die die Auslage eines Schmuckgeschäfts betrachteten. Auf der einen Seite des Schaufensters war ein Brautmodengeschäft, in dem ein Traumpaar mit einem Wachsblumenstrauß posierte, auf der anderen eine dicklackierte Haustür mit beleuchtetem Klingelknopf.
    Bevor sie die Straße überquerten, blieb Annabel stehen, nahm den Rucksack halb herunter, holte ihr Tuch heraus, band es sich um den Kopf und verknotete die beiden Zipfel sorgsam unter dem Kinn. Im Schein der Laterne sah sie plötzlich angespannt und älter aus, als sie war.
    Der Riese von eben schloß die Haustür auf, winkte sie herein und streckte ihnen seine Pranke hin. Brue schlug ein, ohne sich vorzustellen. Die Mutter, Leyla, eine mollige kleine Person, hatte sich für den Besuch feingemacht: Kopftuch, Pumps, schwarzes Kostüm mit Halskragen. Sie starrte Brue mit großen Augen an und gab ihm dann die Hand, wobei sie unruhig zu ihrem Sohn hinübersah. Und Brue, der Leyla ins Wohnzimmer folgte, konnte spüren, daß in diesem Haus die Angst regierte.
    * * *
    Die Tapete war braunrot, die Polstergarnitur goldfarben. Über den Sessellehnen lagen gehäkelte Schondeckchen. Im Glasfuß einer Tischlampe drehten sich Plasmaklumpen, rissen zäh auseinander und verschmolzen wieder. Leyla hatte Brue den Präsidententhron zugedacht. Der Sessel meines verstorbenen Mannes, erklärte sie und zupfte nervös an ihrem Kopftuch. Dreißig Jahre lang hat mein Mann in keinem anderen gesessen, sagte sie. Der Sessel war prunkvoll, häßlich und atemberaubend unbequem. Brue bewunderte ihn, wie es sich gehörte. Er hatte ein ähnliches Stück in seinem Büro stehen, einen Sessel noch von seinem Großvater, auf dem man saß wie ein Affe auf dem Schleifstein. Er überlegte, ob er eine Bemerkung darüber machen sollte, unterließ es aber lieber. Ich bin jemand, der in der Lage ist, Issa zu helfen. Mehr nicht. Auf Leylas bestem Porzellan lockten in Sirup getränkte Baklava-Dreiecke und ein aufgeschnittener Zitronencremekuchen. Brue nahm ein Stück von dem Kuchen und ein Glas Apfeltee an.
    »Köstlich«, lobte er, nachdem er den

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