Marissa Blumenthal 01 - Virus
zunächst mitgeteilt hatte, derartige Auskünfte könnten nur persönlich erteilt werden, gelang es ihm, einen höheren Vorgesetzten an den Apparat zu bekommen, der bereit war, eine Ausnahme zu machen.
Mr. Frank telefonierte mindestens eine Viertelstunde lang und schrieb das, was er dabei hörte, fleißig mit. Anschließend reichte er Marissa eine Liste mit den Namen der Vorstandsmitglieder. Sie nahm sie und las: Präsident: Dr. med. Joshua Jackson; Vizepräsident: Dr. med. Rodd Becker; Schatzmeister: Dr. med. Sinclair Tieman; Schriftführer: Dr. med. Jack Krause; Beisitzer: Dr. med. Gustave Swenson, Dr. med. Duane Moody, Dr. med. Trent Goodridge. Sie entnahm ihrer Aktentasche die Liste der Gesellschafter von »Professional Labs«. Es waren genau dieselben Namen!
*
Als Marissa die AMA verließ, wirbelten ihre Gedanken durcheinander. Die Frage, die ihr im Kopf herumging, war fast zu ausgefallen, um sie sich ernstlich zu stellen: Was hatte eine ultrakonservative Ärztevereinigung mit einem Laboratorium zu tun, das über hochtechnologische Ausrüstung verfügte, die nur für den Umgang mit tödlichen Viren benötigt wurde? Ganz bewußt vermied Marissa die Antwort auf ihre eigene Frage.
Mit aufgewühlten Gedanken schlug Marissa zu Fuß die Richtung zu ihrem Hotel ein. Andere Fußgänger rempelten sie beim Überholen an, aber sie hatte es nicht eilig.
Auf der Suche nach Löchern in ihrer Theorie, hakte Marissa im Geiste die wesentlichen Tatsachen ab. Jedesmal war der Ausbruch der Krankheit in einer mit einer privaten Krankenversicherung verbundenen Klinik erfolgt; die jeweils zuerst Erkrankten hatten gewöhnlich fremdländisch klingende Namen; und jedesmal, wenn die Krankheit durch eine Einzelperson als Ansteckungsträger ausgelöst worden war, war diese unmittelbar vorher überfallen worden. Die einzige Ausnahme war die Epidemie in Phoenix gewesen, von der sie immer noch annahm, daß sie auf eine Verseuchung der Nahrungsmittel zurückging. Aus dem Augenwinkel nahm sie ein Schaufenster mit Charles-Jourdan-Schuhen wahr - ihre einzige Schwäche. Sie hielt plötzlich an, um sich das Schaufenster anzusehen, und erschrak sehr, als ein Mann hinter ihr sie fast über den Haufen rannte. Er warf ihr einen wütenden Blick zu, aber sie kümmerte sich nicht weiter darum. Ihr kam eine Idee. Wenn ihr Verdacht irgendwie begründet war und die bisherigen Ausbrüche keineswegs durch Zufall ausgelöst worden waren, dann konnte man annehmen, daß der Erstpatient in New York für eine Vertragsklinik einer privaten Krankenversicherung tätig war und wenige Tage vor dem Auftreten der Krankheit überfallen worden war. Marissa entschloß sich, nach New York zu fliegen.
Sie blickte um sich und versuchte festzustellen, wie weit sie wohl noch von ihrem Hotel entfernt sei. Sie sah die Hochbahn vor sich, und es fiel ihr ein, daß diese eine Haltestelle am Loop ganz in der Nähe von Palmer House hatte.
Sie schritt nun forsch aus, wurde aber plötzlich von Angst ergriffen. Kein Wunder, daß man sie in ihrem Haus überfallen hatte. Kein Wunder, daß der Mann, der sie im Hochsicherheitslabor erwischt hatte, versucht hatte, sie umzubringen. Kein Wunder, daß Markham für ihre Versetzung gesorgt hatte. Wenn ihre Befürchtungen stimmten, dann war eine Verschwörung von gewaltigen Ausmaßen im Gange, und sie selbst war in höchster Gefahr.
Bis zu diesem Augenblick hatte sie sich in Chicago sicher gefühlt. Plötzlich aber sah sie, wohin sie auch blickte, verdächtige Gestalten. Der Mann da, der so tat, als ob er einen Schaufensterbummel machte - beobachtete er sie nicht vielleicht im Fensterglas? Sie war fast sicher und überquerte die Straße in der Erwartung, daß der Mann ihr folgen würde. Aber der tat das keineswegs.
Marissa schlüpfte in ein kleines Cafe und bestellte eine Tasse Tee, um sich zu beruhigen. Sie saß an einem Fenstertisch und schaute auf die Straße hinaus. Der Mann, der ihr solche Angst eingejagt hatte, kam aus dem Laden, vor dessen Schaufenster er gestanden hatte, mit einer Einkaufstüte und hielt ein Taxi an. Das war also erledigt. In diesem Augenblick aber sah sie den korrekt gekleideten Geschäftsmann. Es war die besondere Art, wie er seine Aktentasche trug, die ihre Aufmerksamkeit erregte: Sein Arm war auf eine merkwürdige Weise abgebogen, so, als ob er das Ellbogengelenk nicht bewegen könne…
Blitzartig war Marissa in Gedanken in ihrem Haus und rang verzweifelt mit einer Gestalt, die sie nicht erkennen konnte
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