Marissa Blumenthal 02 - Trauma
sie schon tot war, als sie hinabstürzte«, sagte Ken.
Marissa war wie vor den Kopf geschlagen. Eine Zeitlang konnte sie kein Wort hervorbringen. Die Folgerungen waren erschreckend.
»Jetzt wirst du unser Problem verstehen«, sagte Ken. »Um so etwas offiziell bekanntzugeben, müßten wir weitere Beweise haben. Wir müssen erklären können, wodurch der Tod vor dem Sturz eingetreten sei. Leider haben wir weder mit bloßem Auge noch unter dem Mikroskop etwas finden können. Besonders sorgfältig haben wir das Gehirn untersucht. Auch hier Fehlanzeige. Unsere einzige Chance liegt bei der Toxikologie, und da haben wir bisher nur eine dicke Niete gezogen.«
»Und wenn der Tod während des Fallens eingetreten ist?« deutete Marissa an. »Vor Schreck oder so was?«
»Komm, Marissa, bleibe ernst!« sagte Ken mit einer abwehrenden Handbewegung. »Das passiert nur im Kino. Wenn sie tot war, bevor sie auf dem Boden aufprallte, dann war sie auch schon tot, bevor sie fiel. Das bedeutet natürlich, daß man sie aus dem Gebäude gestoßen hat.«
»Vielleicht hatte sie ihre Rechnung nicht bezahlt«, sagte Greg zum Spaß. »Aber bei allem gebührenden Respekt, wir müssen uns jetzt wieder unserem augenblicklichen Fall zuwenden, sonst ist die Leiche vorher verwest.«
»Wenn du willst, rufe ich dich an, falls wir noch etwas entdecken«, sagte Ken.
»Bitte, tu das!« antwortete Marissa. Wie betäubt strebte sie zur Tür.
Sie blieb jedoch noch einmal stehen, als Ken ihr nachrief: »Aber denk dran, Marissa, keinen Mucks über die Sache! Du darfst keinem etwas sagen.«
»Keine Sorge«, rief Marissa über die Schulter zurück. »Bei mir ist dein Geheimnis sicher.« Aber Wendy würde sie es natürlich erzählen.
An der Tür blieb Marissa erneut stehen, drehte sich um und rief Ken zu: »Hast du ihr Krankenblatt?«
»Nein«, sagte Ken. »Nur das bißchen, was sie in unserer Notaufnahme notiert haben. Das war nicht viel.«
»Aber das Rechnungsbüro wird doch noch etwas haben«, sagte Marissa, »wegen der Kostenfeststellung.«
»Sicher«, sagte Ken.
»Du weißt wohl nicht zufällig, ob sie auch ihre Sozialversicherungsnummer haben?« fragte Marissa.
»Da fragst du mich zuviel«, sagte Ken. »Aber wenn du einen Blick darauf werfen willst, die Notizen liegen auf meinem Schreibtisch.« Marissa zog die Tür auf und verließ den Obduktionsraum.
»Nach meinem Gefühl ist das Phantasterei«, sagte Wendy und rührte die Eiswürfel in ihrem Mineralwasser um. »Der Gedanke, Rebecca Ziegler wäre ermordet und dann aus dem Fenster geworfen worden, ist absurd. So kann es nicht gewesen sein. Die zu erwartende Blutmenge in der Brusthöhle nach einem Aortariß läßt sich an einer birnenförmigen Kurve ablesen. Rebecca Ziegler war zu dem Zeitpunkt eben gerade am unteren Ende der Kurve. Das muß die Erklärung sein.«
Wendy hatte es sich in Marissas Arbeitszimmer in einer Couchecke gemütlich gemacht. Taffy II saß auf dem Fußboden und hoffte auf noch einen Goldfisch-Cocktailcracker. Marissa saß am Schreibtisch.
Sie warteten auf Gustave. Er hatte nachmittags Notdienst in der Chirurgie gehabt, mußte aber jetzt jeden Augenblick eintreffen. Auf Wendys Drängen hatten die Frauen beschlossen, sich abends mit ihren Ehepartnern zu einem improvisierten Pizza-Essen zu treffen. Sie wollten, daß die Männer sich kennenlernten, in der Hoffnung,
daß die beiden sich dann doch noch entscheiden würden, eins der Resolve-Treffen zu besuchen. Wendy hätte das für überaus nützlich gehalten. Marissa war sich da nicht so sicher.
»Wenigstens habe ich den Notizen ihre Sozialversicherungsnummer entnehmen können«, sagte Marissa. »Jetzt müssen wir nur noch zusehen, wie wir an die Unterlagen in der Frauenklinik herankommen. Dann können wir nachsehen, was Rebecca dort an ihrem letzten Lebenstag gelesen hat. Das heißt, falls sie überhaupt etwas gelesen hat.«
»Jetzt geht schon wieder deine Phantasie mit dir durch«, sagte Wendy. »Du denkst also, sie hätten sie nach oben geschafft, sie dort abgemurkst und aus dem Fenster geworfen? Also wirklich, das ist so weit hergeholt, daß es sich nicht lohnt, es überhaupt in Betracht zu ziehen.«
»Wenn schon«, sagte Marissa. »Lassen wir es vorerst dahingestellt sein. Jedenfalls haben wir herausgefunden, daß sie die gleiche Eileiterinfektion hatte wie wir. Das steht nun fest.«
Plötzlich begann Marissa in ihren Papieren herumzufummeln. Sie suchte die Telefonnummern von Marcia Lyons und Catherine
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