Mark Beamon 01 - Der Auftrag
Baseball-Liga spielen sehen, hatte bei nächtlichen Pokerspielen mit ihnen Geld verloren, ihnen beim Umzug geholfen und mit ihnen gebechert. Ein professioneller Lügner. Sein alter Chef hatte immer gesagt, er habe dafür ein echtes Talent.
Die Türsteher hatten nach gleichgültigen Blicken auf die Führerscheine weitere Gäste eingelassen, und eine Frau rempelte ihn an, dass sein Bier überschwappte. Umso weniger muss ich trinken, dachte er, und nahm einen kleinen Schluck von dem Rest in der Flasche.
Seine derzeitige Aufgabe war besser als die meisten vorherigen. Wenigstens ging es diesmal nicht darum, einen der Leute zu verhaften, die er so gut kennen gelernt hatte. Das hasste er bei verdeckten Ermittlungen vor allem – das unvermeidliche Ende, die Verhaftung. Statt ein Gefühl des Triumphs zu empfinden, sah er sich immer, wie die Verdächtigen ihn sahen – als Verräter.
»Ich muss gehen, Mann«, sagte er und stützte sich schwer auf Careys Knie. »Bin bedient.«
»Alles in Ordnung, Phil?«
»Klar. Ich brauch bloß frische Luft und ein Bett, weißt du?«
Carey nickte gutmütig.
Newberry packte einen kleinen schwarzen Rucksack, der zu seinen Füßen stand, und ging mit einem gut eingeübten Schwanken durch die Bar. Unbeholfen winkte er einer Gruppe von Männern am Billardtisch zu und stolperte weiter zur Tür. Sie riefen ihm ein paar Frotzeleien hinterher und wandten sich wieder ihrem Spiel zu.
Tief atmete er draußen die kühle Luft New Yorks ein, die ihm nach sechs Stunden in dieser Bar fast genauso süß vorkam wie frische Bergluft. Er setzte den Rucksack auf, schnallte ihn um die Hüfte und bog in eine enge Gasse ein. Die Leuchtziffern seiner Uhr zeigten 00.13.
Zum Glück spürte er nichts davon, dass sich der Wodka irgendwie bemerkbar machte. Zweifellos war der Alkohol absorbiert worden von dem Käsesteak mit Pommes, das er direkt nach der Arbeit hinuntergeschlungen hatte.
Das Lagerhaus war nur ungefähr zehn Minuten entfernt, aber da er einen indirekten Weg einschlug, brauchte er fast eine halbe Stunde. Neben einem großen Müllcontainer, der mit allem möglichen Abfall überquoll, der am Hafen so anfiel, blieb er stehen und wartete fast fünf Minuten lang. Nichts regte sich auf der Straße. Die Anwohner lagen offenbar alle friedlich in ihren Betten oder hockten irgendwo in einer schäbigen Bar.
Er zog sein hellblaues Sweatshirt aus, stopfte es hinter den Müllcontainer und huschte in dunklen Jeans, einem schwarzen Rollkragenpullover und schwarzen Basketballschuhen über die nur spärlich erhellte Straße. Erstaunt merkte er, dass er überhaupt nicht nervös war. Als Hobart ihm das Okay für diese Aktion gegeben hatte, war ihm der Magen bis in die Knie gerutscht, und er hatte benommen den Telefonhörer aufgelegt.
Seither hatte er jeden Abend einen Beutel Popcorn in die Mikrowelle geschoben, sich ein Bier aufgemacht und seinen müden Körper auf dem Sofa ausgestreckt. Den Rest der Nacht hatte er damit verbracht, durch die Fernsehkanäle zu zappen und die zahllosen Sendungen zu verfolgen, in denen aus allen möglichen Perspektiven über die Aktionen des CDFS berichtet wurde. Er war zu drei Schlussfolgerungen gekommen.
Erstens: Wenn man Kabelfernsehen hatte, konnte man vierundzwanzig Stunden am Tag irgendeine Sendung darüber finden.
Zweitens: Die Öffentlichkeit stand mehr und mehr hinter ihnen.
Drittens: Es funktionierte.
Jede Angst und alle Bedenken waren verflogen; stattdessen empfand er nur noch Stolz und wilde Entschlossenheit. Die Politiker hatten bloß endlos darüber geredet, in Amerika mit den Drogendealern aufzuräumen – aber er tat es!
Newberry drückte sich an das Lagerhaus und schaute hinauf. Von seinem Platz aus schien es eine Meile bis zu den Fenstern im zweiten Stock zu sein – die ersten, die nicht mit Gittern geschützt waren. Er huschte an der Wand entlang und blieb in einer Nische stehen. Das Lagerhaus war kein moderner Betonkasten, sondern stammte noch aus einer Zeit, als man bei allen Gebäuden auf eine gewisse Ästhetik geachtet hatte, und das Mauerwerk war verziert mit kleinen Vorsprüngen und schmalen Simsen. Newberry rückte noch einmal seinen Rucksack zurecht und begann den Aufstieg.
Er hatte sich zu Hause in seiner Garage einige Steine aufgebaut und daran geübt, wie er am günstigsten die Füße setzen musste, um optimalen Halt zu haben. Eigentlich hatte er gedacht, dass es an einem Gebäude noch leichter sein müsste. Die Simse waren scharfkantiger und gruben
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