Mark Beamon 01 - Der Auftrag
sich in die Schuhsohlen, und in der Nische konnte er gut das Gleichgewicht halten. Aber aus irgendeinem Grund war es sehr viel schwerer.
Bewusst schaute er nur auf das Mauerwerk direkt vor sich, das in der Dunkelheit beängstigend glatt wirkte. Er hatte das Gefühl, als klettere er schon ewig, und riskierte schließlich einen Blick nach oben. Überraschenderweise geriet sein Gleichgewichtssinn dabei völlig durcheinander, und er glaubte, ins Nichts zu stürzen. Erschrocken klammerte er sich fest. Sein Herz raste, Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er rang nach Atem. Er hätte sich gern ein paar Augenblicke gesammelt, aber das Brennen in seinen Unterarmen und Waden zwang ihn dazu weiter zu klettern.
Nach anderthalb Metern ertastete er den Sims unter einem der Fenster des zweiten Stocks. Vorsichtig nahm er seinen Rucksack ab und schob ihn hinauf, zog sich hoch und blieb mit baumelnden Füßen einige Zeit auf dem fußbreiten Vorsprung sitzen, um Atem zu holen. In der Dunkelheit sah er Schiffe vorbeiziehen, deren Lichter wie Sternbilder auf dem schwarzen Wasser glitzerten, und in der Ferne leuchtete hell New Jersey.
Schließlich wurde ihm klar, wie leicht ihn jemand entdecken könnte und vermutlich denken würde, er sei ein Selbstmörder, deshalb drehte sich vorsichtig auf seinem schmalen Sitz um und stemmte sich gegen das Fenster. Es bewegte sich nicht. Er versuchte es noch mal und fragte sich für einen Moment, ob er möglicherweise am falschen Fenster den Riegel geöffnet hatte. Das alte Lagerhaus war so verwinkelt, dass er sich vielleicht geirrt hatte.
Doch nach einem weiteren Ruck ging es mit einem dumpfen Knacken auf. Er schob sich hindurch und landete auf einem Laufrost, zog den Rucksack herein und eilte zur Treppe.
Das einzige Licht kam von den Straßenlampen und durch die heruntergelassenen Jalousien des Büros im ersten Stock. Dahinter hörte man gedämpfte Stimmen. Lautlos schlich er die Metallstufen hinunter zum Erdgeschoss.
Dort eilte er durch das Labyrinth der schmalen Gänge zwischen den aufgestapelten Kisten zur anderen Seite des Gebäudes. Schließlich kam er zu einem Tor aus Maschendraht. Er nahm den Rucksack ab, zog einen Bolzenschneider heraus und machte kurzen Prozess mit dem Schloss. Er steckte es in die Tasche, nahm ein gleiches aus dem Rucksack und hängte es an die Kette. Wenn man am Morgen das Tor öffnen wollte, würde der Schlüssel nicht passen. Man würde sich zwar wundern und es noch mal probieren, aber dann das Schloss kurzerhand aufbrechen und den Vorfall vergessen.
Newberry huschte leise in den Raum und schlängelte sich hindurch zu einer Kiste, die aussah, als stamme sie aus Armeebeständen. Sie ließ sich leicht öffnen, nachdem er ein paar Nägel entfernt hatte. In dem spärlichen Licht konnte er nichts sehen, deshalb griff er hinein und ertastete einen harten rechteckigen Barren, der in Plastik gehüllt und mit Klebeband umwickelt war.
Er setzte sich auf den Boden, machte es sich so bequem wie möglich und nahm aus dem offenen Rucksack ein Bündel Strohhalme, die an beiden Enden sorgfältig abgeklebt worden waren. Nachdem er seinen Rollkragen über Mund und Nase gezogen hatte, hob er den ersten Barren aus der Kiste und drückte ein kleines Loch hinein. Dann riss er das Klebeband an einem Ende eines Halms ab, schob ihn tief inden Barren und drehte ihn um. Er entfernte das Klebeband von der anderen Seite und zog den Halm langsam heraus. Es funktionierte genau so, wie Hobart vorhergesagt hatte. Das tödliche Pulver sickerte in das Kokain. Wenn es später verschnitten wurde, würde das Orellanin dabei gleichmäßig verteilt werden.
Er hatte gerade den dritten Barren in der Hand, als er hinter sich eine Bewegung hörte – oder vielmehr eher spürte. Hastig wandte er sich um. Ein Streichholz wurde angerissen, was in der Stille ohrenbetäubend laut klang, und blendete ihn.
Die Flamme erhellte ein vertrautes Gesicht.
»Ich bin Mark Beamon«, sagte die Gestalt, zündete sich eine Zigarette an und blies das Streichholz aus, worauf wieder Dunkelheit herrschte. Newberry konnte absolut nichts mehr sehen. Seine Pupillen hatten sich in der unerwarteten Helligkeit zusammengezogen, was zweifellos beabsichtigt gewesen war. Beamon hatte seine Augen beim Anzünden der Zigarette geschlossen gehalten.
Newberry dachte an die Waffe unter seinem Arm, doch Beamon schien seine Gedanken zu lesen.
»Tun Sie’s nicht, mein Junge. Sie kennen uns vom FBI – wir kämpfen nie fair. Im Moment sind
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