Mark Beamon 01 - Der Auftrag
Karns hatte seine Zweifel gehabt, doch jetzt musste er zugeben, dass Hobart Recht gehabt hatte. Irgendeine akustische Besonderheit schien den Verkehrslärm zu dämpfen und das Stimmengewirr der Demonstranten und Reporter zu verstärken. Während er weiter seine Beine anspannte und streckte, hörte er ihre wachsende Aufregung.
***
Wie immer in den letzten drei Tagen blieb Mark Beamon kurz an der Glastür stehen. Draußen entdeckte er sechs oder sieben Agenten, die Reporter und Zuschauer zurückhielten und dafür sorgten, dass eine Lücke von gut sieben Metern in der Menge blieb. Den dunkelblauen Ford LTD, der am Straßenrand auf ihn wartete, konnte er von seinem Platz aus nicht sehen, auch nicht die einhundertfünfzig Agenten, die auf umliegenden Dächern positioniert waren, in geparkten Autos saßen oder lässig durch die Gegend schlenderten. Vor lauter Nervosität lief ihm der Schweiß den Nacken hinunter und unter seine kugelsichere Weste.
Er hatte gedacht, der erste Tag würde der schlimmste sein, doch das war ein gründlicher Irrtum gewesen. Die Spannung schien sich täglich zu steigern wie ein Crescendo am Ende einer Sinfonie.
»Alles in Ordnung, Mr. Beamon?«, fragte Philip Nelson wie an jedem Tag, seit Beamon seine ursprünglichen Bewacher abgelöst hatte. Beamon nickte und schaute auf die Uhr.
Zehn Uhr. Es war Zeit. Er führte seinen Gefangenen an der Kette zwischen den Handschellen zur Tür. Nelson wirkte erleichtert.
Warte noch, sagte sich Karns. Die Aufregung der Reporter und Zuschauer steigerte sich weiter, aber Hobart hatte ihm gesagt, dass sie durch die Glastüren schauen konnten und er warten solle, bis sie anfingen, Fragen zu stellen. Dann würde er ungefähr acht Sekunden für einen sauberen Schuss haben und weitere zwei für einen Schuss, bei dem die Sicht teilweise von einem Wagen blockiert wäre. Karns holte tief Atem und veränderte seine Griffposition. Mit den chirurgischen Handschuhen, die er übergestreift hatte, fühlte sich das Gewehr ganz komisch an.
Die ersten Rufe ertönten, und er war nicht bereit. Er holte noch mal tief Luft, womit er erneut zwei Sekunden verschwendete.
Seine Beine schmerzten von den gestrigen Anstrengungen, aber das Blut zirkulierte wieder in ihnen. Er richtete sich auf. Niemand in der Menge bemerkte die Gestalt, die sich über das Dach lehnte.
Nelsons Kopf war direkt in seinem Fadenkreuz. Er senkte den Lauf geringfügig und zielte auf die Brust. Kopfschüsse taugten nichts. Es war erstaunlich, was der menschliche Schädel alles aushalten konnte. Noch immer hatte ihn niemand in der Menge bemerkt, als er den Abzug drückte. Der Schuss krachte, und der Gewehrkolben rammte gegen seine Schulter. Rasch ließ er die Waffe fallen und rannte mit dem Seil in der Hand zur anderen Seite des Dachs.
Der Schuss und das Geräusch der Kugel, die von den Betonstufen abprallte, erklangen buchstäblich zur gleichen Zeit. Beamon rechnete fest damit, dass sein Gefangener zu Boden stürzen würde. Doch Nelson rührte sich nicht.
Er hechtete nach links und riss ihn mit sich, sodass sie auf der Treppe landeten, Beamon auf dem Bauch und Nelson auf dem Rücken. Bei einem Schützen auf einem Dach haben wir hier nicht mehr Deckung, als wenn wir stehen geblieben wären, dachte er und beobachtete, wie die Menge auseinander stob. Er zählte leise, wie er es sich vor Jahren angewöhnt hatte. In solchen Situationen schien die Zeit stillzustehen, und meistens war es hilfreich zu wissen, wie viele Sekunden vergangen waren. Als er zu fünf kam – nach einer halben Ewigkeit –, setzte er sich auf.
Tom Sherman und die anderen Agenten kauerten immer noch hinter dem Ford LTD, der an der Treppe parkte, und richteten ihre Waffen auf das Dach des gegenüberliegenden Gebäudes. Einige lauschten angespannt auf die Durchsagen, die sie über ihre Ohrhörer empfingen.
»Hoch mit dir, du Glückskind«, sagte Beamon und versetzte Nelson einen Rippenstoß. Er bewegte sich nicht.
Ohoh.
Er riss Nelsons Hemd auf und entdeckte ein sauberes Loch in seiner kugelsicheren Weste. Etwas Blut sickerte aus dem Riss.
»Verdammte Teflongeschosse!«, fluchte er. Der arme Bastard hatte vermutlich nicht einmal mitgekriegt, dass er tot war. Beamon stand auf und klopfte sich den Staub ab.
»Runter, Mark!«, schrie Sherman.
Beamon schob seine Hände in die Taschen. »Ach, Scheiße, Tommy, der Kerl ist doch längst auf und davon.«
Sherman verließ etwas zaghaft seine Deckung und kam zu ihnen hinüber. Betroffen
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