Mark Brandis - Bordbuch Delta VII (Weltraumpartisanen) (German Edition)
Form: auf jeden Fall machte er mir zu schaffen. Er trat mit den Knien nach mir und zerrte mit seiner freien linken Hand an meinen Haaren.
Um den Kampf zu einem Ende zu bringen, holte ich mit dem rechten Fuß aus und schlug ihm die Beine unter dem Leib weg. Collins stöhnte auf und wurde plötzlich schlaff. Seine linke Hand ließ mein Haar los, fiel herab auf meine Schulter, verkrampfte sich in den Jackenstoff und öffnete sich wieder.
Als er auf dem Fußboden lag, beförderte ich die Waffe mit einem Fußtritt in eine Ecke.
»Tom«, sagte ich – so sanft, wie es mir in der Erregung möglich war, »mußte es wirklich so weit zwischen uns kommen?«
Tom Collins gab keine Antwort. Er lag auf der Seite und bewegte sich nicht. Anfangs glaubte ich, der Aufprall hätte ihn betäubt. Ich bückte mich und rollte ihn auf die Seite. Seine Augen blickten sonderbar glasig ins Leere. Auf seiner Brust war eine kleine versengte Stelle. Während wir miteinander rangen, hatte er sich selbst erschossen. Auf einmal vergaß ich, was sich soeben zwischen uns ereignet hatte, und Wut und Haß und Erregung klangen ab. Wie er da lag und sich nicht rührte, war er wieder mein Freund – jener Tom Collins, den ich so gut kannte. Ich kniete neben ihm nieder und nahm ihn in die Arme. »Es tut mir leid, Tom«, sagte ich leise. »Es tut mir leid. Das habe ich nicht gewollt.«
Plötzlich verspürte ich an meiner Hand, mit der ich seinen Hinterkopf stützte, einen leichten Schmerz. Ich zog sie zurück: aus meinem Mittelfinger quoll ein dunkler Tropfen Blut.
In dieser Sekunde begriff ich alles.
Ich begriff den eisigen Fanatismus der Soldaten auf Asinara, der mir so unheimlich erschienen war; ich begriff die Bereitschaft Samuel Hirschmanns, des großen alten Mannes, sich in den Dienst des Generals zu stellen; und ich begriff auch, was Tom Collins dazu bewogen hatte, alle seine Überzeugungen preiszugeben und sich schließlich sogar mit der Waffe in der Hand gegen seinen teuersten Freund zu stellen.
Keiner von ihnen war schuldig, keiner ein Verräter. Sie alle waren nur Opfer – bedauernswerte Marionetten einer gewissenlosen Wissenschaft, hilflos und willenlos ihren Peinigern ausgeliefert, die sie nach Belieben lenken konnten.
Aus Tom Collins‘ Hinterkopf, vom Haar verdeckt und darum nicht zu sehen, von mir nur durch Zufall entdeckt, ragte eine winzige Anode.
Kapitel 15
Wieder muß ich, um meinen Bericht zu vervollständigen, mein eigenes Erleben für eine Weile in den Hintergrund stellen und schildern, was sich andernorts zugetragen hat.
Iwan Stroganow kniete vor dem Bett seines sechsjährigen Sohnes und sprach das Nachtgebet. Das tat er immer – an den wenigen Abenden, an denen er zu Hause war, und mehr noch als er selbst achtete Boris darauf, daß es von dieser Regel keine Abweichungen gab. Der Junge schlief ein, bevor noch das »Amen« gesprochen war.
Stroganow stand auf und blickte auf seinen schlafenden Sohn herab – und wieder, wie so oft an diesem Tag schon – überfielen ihn Zweifel, Unruhe und Sorge, und er fragte sich, ob die Entscheidung, die er getroffen hatte, auch die richtige war.
Noch ahnte Boris nicht, daß er die letzte Nacht in seinem Bett verbrachte und daß er, sobald er erwachte, alles, was er liebte, würde zurücklassen müssen – aus einem Grund, der ihm lange unverständlich bleiben mußte.
Stroganow atmete schwer.
»Was ist?« fragte Mascha, seine Frau, besorgt. »Fehlt dir etwas?«
Stroganow zwang sich zu einem Lächeln. Auch Mascha war ahnungslos. Nun, da er zu ihr zurückgekehrt war, war für sie die Welt wieder in Ordnung. Von dem, was außerhalb ihrer Wohnung geschah, wollte sie nichts sehen und nichts hören.
»Mir fehlt nichts«, sagte Stroganow«, überhaupt nichts.« Auf Zehenspitzen ging er hinüber in das Wohnzimmer. Seine Frau folgte ihm. Behutsam schloß er die Tür.
»Du bist so unruhig heute«, sagte Mascha. »Und immer fängst du an, mir etwas zu sagen – und kommst dann doch nicht damit heraus. Warum sagst du nicht endlich, was los ist?«
»Weil«, antwortete Stroganow, während er an das Fenster trat, »es einfach nichts zu sagen gibt, Mascha, Täubchen.«
Draußen auf der Straße war die Situation unverändert. Stroganow hob ein wenig die Schultern. Mit dieser Schwierigkeit hatte er nicht gerechnet.
Seit fünf Stunden versuchte er, seiner Frau verständlich zu machen, was an der Nordmole beschlossen worden war – aber alle seine Andeutungen und Umschreibungen wurden von ihr
Weitere Kostenlose Bücher