Marlene Suson 1
doch die Grundlage für die Liebe. Ohne Vertrauen . . . ‚ Rachel konnte nicht weiter. Tiefe Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zu.
Es war schon eine Woche her, seit Jerome von Rachels Untreue erfahren hatte, doch es schmerzte noch immer wie im ersten Au- genblick. Seitdem er seine Frau nach Royal Elms verbannt hatte, hatte er begonnen, sein Londoner Stadthaus zu hassen, und ganz besonders sein Schlafzimmer. Es steckte voller Erinnerungen an Rachel.
Vor allem das Bett. Die Kissen dufteten noch immer nach La- vendel und Rosen, und das machte ihn schier verrückt. Wann immer er einen Blick auf das Bett warf, sah er Rachel vor sich, wie sie zu ihm auflächelte, als wäre er der einzige Mann auf der Welt.
Mit jedem Abend blieb er länger aus. Wenn er dann schließlich nach Haus kam, ging er in die Bibliothek und trank so lange, bis er seinen Kummer vergaß und die Kraft fand, hinauf in sein einsames Schlafzimmer zu gehen.
An diesem Abend war er in seinem Club. Er beobachtete die Spieler am Faro-Tisch, doch seine Gedanken weilten auf Royal Elms. Was Rachel in diesem Augenblick wohl tat?
Lord Rufus Oldfield gesellte sich zu ihm. „Wie ich höre, ist die Herzogin nach Royal Elms zurückgekehrt?‚ Oldfield grinste tückisch. „Und wie’s der Zufall will, ist dieser Anthony Denton einen Tag später nach Bedfordshire aufgebrochen.‚
Davon hatte Jerome nichts gewußt.
Die pure Bosheit glitzerte in Oldfields grauen Augen. „Ein merkwürdiger Zufall, finden Sie nicht auch?‚ Mit einem scha- denfrohen Kichern wandte er sich ab und schlenderte davon.
Jerome zerdrückte einen gotteslästerlichen Fluch zwischen den Zähnen und verließ den Club.
Am nächsten Morgen saß Jerome schon in aller Herrgottsfrühe im Sattel. Er würde nicht untätig zusehen, wie seine schamlose,
liederliche Frau sich in seinem eigenen Haus mit ihrem Geliebten vergnügte. Er gönnte sich und dem Pferd kaum eine Rast, und gegen Abend näherte er sich dem „Crown Inn‚. Das Gasthaus lag eine Meile südlich von Royal Elms.
Wenn Denton sich hier in der Gegend aufhielt, dann war er vermutlich im „Crown Inn‚ abgestiegen. Es war weit und breit die einzige Herberge, die dafür in Frage kam. Jerome beschloß, anzuhalten und sich zu erkundigen. Falls er Denton zufällig antraf, würde er ihn aus dem Haus holen, damit er die un- vermeidliche Konfrontation so schnell wie möglich hinter sich brachte.
Der Wirt, der fast so breit wie hoch war, runzelte die Stirn, als Jerome ihn nach Denton fragte.
„Er hat hier ein Zimmer gemietet, Euer Gnaden, aber ich kann eigentlich nicht behaupten, daß er hier wohnt. Er ist auch im Au- genblick nicht hier, und in seinem Bett hat er seit seiner Ankunft noch nicht einmal geschlafen.‚
Bei dieser Antwort biß Jerome die Zähne so fest zusammen, daß es schmerzte. Mit belegter Stimme fragte er: „Wissen Sie, wo er seine Nächte verbringt?‚
Der Mann schüttelte den Kopf. „Kann ich nicht sagen. Jeden Abend reitet er weg, und zwar in dieser Richtung.‚ Er wies auf einen schmalen, gewundenen Pfad, der in nordwestlicher Rich- tung durch einen Buchenwald führte.
In dieser Richtung lag der Witwensitz von Royal Elms. Er war vom siebenten Duke of Westleigh für seine Mutter gebaut worden, mit der er fast sein ganzes Leben lang im Zwist gelegen hatte. Er hatte den Witwensitz so weit wie möglich vom Herrenhaus ent- fernt errichten lassen, schon fast an der Grenze zum Hextable- Besitz.
Da die Frauen sowohl des zehnten als auch des elften Herzogs vor ihren Männern gestorben waren, hatte der Witwensitz seit dem Tod von Jeromes Urgroßmutter leergestanden. Sie war die Witwe des neunten Herzogs gewesen. Damals war das Haus ver- schlossen und in der Folgezeit ziemlich vernachlässigt worden. Erst im vergangenen Jahr, als Jerome die zusätzlich eingestellten Leute auch beschäftigen mußte, hatte man begonnen, einmal in der Woche dort sauberzumachen.
Isoliert und versteckt gelegen, war dieser Witwensitz das ideale Liebesnest. War es der Ort, wo sein treuloses Weib ihren Lieb- haber traf?
Rachel erwachte an diesem Abend von einem langen Nachmit- tagsschlaf. Mit jedem Tag war sie sicherer geworden, daß ihre Vermutung richtig war: Sie war guter Hoffnung.
Wahrscheinlich war es der Grund dafür, daß sie in letzter Zeit so dicht am Wasser gebaut hatte. Doch der Hauptgrund für letz- teres lag sicher nicht allein bei ihrer Schwangerschaft, sondern bei dem Vater ihres ungeborenen Kindes.
Sie vermißte Jerome
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