Marlene Suson 1
wie am Vorabend, hatte er sie völlig ignoriert und sich neben So- phia gesetzt. Als man sich anschließend im Salon versammelte, schien Rachel für ihn Luft zu sein.
Sie war verstört und tief verletzt, weil sie sein Verhalten nicht verstand. Hinzu kam, daß sein Desinteresse sie schutzlos Lord Felix’ lästigen Annäherungsversuchen preisgab. Unfähig, den Stutzer noch einen einzigen Augenblick zu ertragen, hatte Rachel sich nach einer Viertelstunde entschuldigt, etwas von Unwohl- sein gemurmelt und war in ihr Boudoir geflohen.
Nach kaum drei Minuten erschien Eleanor mit besorgtem Ge- sicht. „Ist dir übel?‚
Rachel verzog das Gesicht. „Ja, von Lord Felix’ Gesellschaft. Er klebt an mir wie ein Blutegel. Was immer ich auch sage, nichts nimmt ihm den Wind aus den Segeln.‚
„Er ist so von sich überzeugt, daß er einfach davon ausgeht, alle Frauen rissen sich um seine Aufmerksamkeit.‚
Wenn der Herzog doch nur einen Bruchteil des Interesses für sie zeigen würde, das Felix an sie verschwendete. Kein anderer Mann hatte sie je so gefesselt wie der Duke of Westleigh, und er war obendrein ein durch und durch ehrenhafter Mann. Sie war überrascht und beglückt darüber, wie sie in ihrer Denkweise ein- ander ähnelten.
Er war genau der Mann, den sie sich immer als Gatten er- träumt hatte. Bei dem Gedanken spürte sie plötzlich eine selt- same Hitze. Als Eleanor neulich vorschlug, Rachel solle mit dem Herzog flirten, um Lord Felix zu entmutigen, war sie entrüstet gewesen, doch jetzt sah sie die Dinge ganz anders. Leider hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie man so etwas anstellte. Sie war nie in London gewesen und kannte sich in der mondänen Welt nicht aus. Deshalb fragte sie Eleanor, die ihre Saison in London gehabt hatte: „Wie bringe ich einen Mann dazu, sich für mich zu interessieren?‚
Verblüfft sah Eleanor sie an und brach dann in Lachen aus.
„Das fragst ausgerechnet du mich? Wo doch jeder heiratsfähige Mann in der Gegend dir zu Füßen liegt!‚
„Aber ich habe mich nie darum bemüht‚, wandte Rachel ein. „Und ich wünschte auch, es wäre nicht so.‚ Der Gedanke, von einem dieser Anbeter so geküßt zu werden, wie der Herzog sie geküßt hatte, machte sie schaudern. Die Erinnerung an seinen Kuß dagegen löste einen ganz anderen Schauer in ihr aus.
Eleanor schmunzelte. „Gehe ich richtig in der Annahme, daß du dir den Herzog angeln willst? Eine brillantere Partie könntest du gar nicht machen, und selbst deine Tante Sophia könnte nichts dagegen einwenden. Im übrigen hat Seine Gnaden sich gestern abend auffallend um dich bemüht.‚
„Aber heute abend hat er getan, als gäbe es mich nicht.‚
„Ist mir auch aufgefallen‚, gab Eleanor zu. „Aber genau für dieses Verhalten ist er in London bekannt. Erst macht er einer Dame den Hof, und am nächsten Abend kennt er sie nicht mehr. Du hast dir da einen sehr wetterwendischen Galan ausgesucht. Jede Frau in London könnte dir das bestätigen.‚
„Was soll ich tun, um ihn zu gewinnen?‚
„Ich wünschte, ich könnte dir helfen‚, seufzte Eleanor ratlos. „Aber keine Frau hat bisher eine Antwort auf diese Frage ge- funden.‚
„Wenn Stephen nicht zurückkommt, ist der Herzog meine ein- zige Rettung vor einer Ehe mit Lord Felix. „Oh, Eleanor, ich bin sicher, daß mein Bruder noch lebt. Aber wo könnte er sein?‚
Wenn Anthony Denton sich doch endlich melden würde! Ste- phens Freund hatte ihr versprochen, einen Mann zu beauftragen, um nach dem Verbleib des Verschollenen zu forschen. Er wollte sofort kommen, sobald er etwas erfuhr. Wann immer Rachel draußen vor dem Haus Hufschlag hörte, hoffte sie, daß es Tony mit Nachrichten von Stephen wäre.
„Da wir gerade von deinem Bruder sprechen‚, sagte Eleanor, „seine liebende Braut hat sich merkwürdig schnell aus dem Staub gemacht. Ihr ist wohl klar geworden, daß sie keine Chance hat, Herzogin zu werden.‚
„Ich bin froh, daß sie fort ist.‚ Es kam selten vor, daß Rachel jemanden so heftig ablehnte, doch bei Fanny war es der Fall. Das Mädchen hatte nichts anderes im Kopf als Abstammung und Vergnügungen. Es hatte Rachel schockiert, wie bereitwillig sie ihre Verlobung mit dem armen Stephen gelöst hätte, um sich den Herzog zu angeln. Das hatte ihr Bruder nicht verdient.
Sie hörten ein leises Kratzen an der Tür. Es war eines der Stu- benmädchen. „Die Köchin schickt mich. Sie möchten gleich in die Küche kommen‚, flüsterte sie Rachel zu, wobei
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