Marlene Suson 1
gegen die militärische Laufbahn seines Sohnes. Dennoch erklärte er sich einverstanden, George gegen ein gewisses Zugeständnis ein Offizierspatent zu kaufen.‚
„Was war das für ein Zugeständnis?‚
„Sollte Stephen ohne Nachkommen sterben und George den Titel erben, dann müßte er entweder seinen Abschied nehmen oder Wingate Hall auf seine Schwester überschreiben.‚
„Und George war einverstanden?‚
„Nein. Der Pfarrer sagt, George hat sich heftig geweigert, die Vereinbarung zu unterzeichnen. Er tat es dann doch, weil sein Vater ihm sonst das Offizierspatent nicht gekauft hätte.‚
„Doch wenn Rachel tot wäre ...‚ Jeromes Stimme klang plötz- lich heiser.
„ . . . würde Bruder George alles erben, ohne seinen Abschied nehmen zu müssen. Wenn man von dem Tod einer jungen, wohl- habenden Frau profitiert, ist es da nicht von Vorteil, zum Zeit- punkt ihres Todes in Übersee zu weilen?‚ gab Morgan mit iro- nischem Unterton zu bedenken.
Konnte das der Grund sein, weshalb George auf Rachels Bitten bisher nicht reagiert hatte? Jerome dachte an den bösen Brief, den er an George geschrieben hatte. Der nichtsnutzige Wicht würde ihn vermutlich höchst amüsant finden.
„Wenn du Rachel jetzt nicht von Wingate Hall fortbringst, hast
du vielleicht nie mehr die Möglichkeit dazu. Sie könnte dann tot sein.‚
Bei dem Gedanken krampfte sich Jeromes Herz zusammen, obwohl er noch immer nicht daran glaubte, daß sie wirklich in so akuter Gefahr war, wie Morgan behauptete. „Ich bin ja bereit, sie mitzunehmen.‚
„Aber nicht als deine Frau?‚
„Nein.‚
„In der tiefsten Hölle sollst du braten! Wenn du sie nicht hei- ratest, dann tue ich es.‚
Rasende Wut stieg in Jerome auf, und er ballte unwillkürlich die Fäuste. Zutiefst schockiert erkannte er, daß er – obwohl er Rachel nicht heiraten wollte – sie auch keinem anderen Mann gönnte.
Argwöhnisch fixierte er seinen Bruder. Morgan war das schwarze Schaf der Familie. Es war kaum anzunehmen, daß er Rachel wirklich heiratete. Dies war sicher nur wieder ein Trick von ihm, um seinen Bruder zu täuschen. Aber das würde ihm nicht gelingen. „Es wird höchste Zeit für mich. Meine Kutsche wartet schon.‚
„Fährst du ohne Rachel?‚
„Ja.‚
Morgan preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. „Du bist doch so erpicht darauf, daß ich meine Karriere als Straßenräuber an den Nagel hänge. Also gut, ich biete dir einen Handel an: Heirate Rachel, und ich schwöre dir, daß Gentleman Jack auf der Stelle vom Erdboden verschwindet.‚
„Mit anderen Worten, um dich vor dem Galgen zu retten, muß ich mein Leben verpfuschen.‚
„Du bist ein verdammter Narr, Jerome. Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, Rachel ist wie geschaffen für dich. Ich will doch nur, daß du glücklich wirst, und mit Rachel wirst du es.‚
„Den Teufel werde ich! Eine Schönheit wie sie wird sich nie mit nur einem Mann begnügen. Ich lasse mir doch nicht mein Leben lang Hörner aufsetzen.‚ Damit drehte Jerome sich auf dem Absatz um und ging mit langen Schritten davon.
„Diese verfluchte Cleo ist noch dein Untergang!‚ rief Mor- gan ihm nach. „Rachel ist nicht wie sie. Cleo hat eine Seele so schwarz wie die Nacht, aber Rachel ist innen genauso schön wie äußerlich. Warum kannst du das nicht endlich begreifen?‚
Ohne den Worten seines Bruders Beachtung zu schenken, ging
Jerome weiter. Dann fiel ihm das Milchkännchen ein, das er im Labyrinth zurückgelassen hatte. Er mußte es holen.
Als er sich dem Versteck der Kätzchen näherte, kamen sie nicht herbei, um ihn zu begrüßen. Vermutlich beschäftigten sie sich immer noch mit der Milch. Jerome ging in die Hocke und lugte unter die Hecke.
Zuerst dachte er, die Kätzchen schliefen. Das eine lag steif ausgestreckt neben dem Milchnapf. Dann entdeckte er das an- dere, dessen kleiner Kopf in den Napf hinein hing.
Die Augen der Kätzchen standen offen, und sie hielten die Pfoten in einer ganz unnatürlichen Stellung. Bestürzt griff Je- rome nach einem der beiden Fellknäuel, und sein böser Verdacht bestätigte sich.
Das Kätzchen war tot.
Wie sein Gefährte.
Ungläubig starrte Jerome auf die leblosen kleinen Körper. Nur ganz allmählich begriff er die Tragweite dessen, was das bedeutete. Die Milch, die er den Kätzchen gebracht hatte, war vergiftet gewesen.
Es war die Milch von Rachels Frühstückstablett!
Heftige Übelkeit stieg in ihm auf. In einem so großen Haushalt wie auf Wingate
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