Marlene Suson 1
würde. Die Vorstellung, einen Mann zu hei- raten, der solche Gefühle für sie hegte, erfüllte sie mit Verzweif- lung. Nein, sie konnte ihn nicht heiraten.
Plötzlich und ohne Vorwarnung hob Jerome sie hoch und trug sie zur Tür.
„Was tust du da?‚ fragte sie erschrocken.
„Ich nehme dich mit.‚
„Laß mich sofort los!‚ zischte sie. Sie versuchte, sich seinen Armen zu entwinden, während er sie durch den Flur trug, an gaf- fenden Dienstboten vorbei und die große Treppe hinunter, doch er war zu stark. Mit Armen, die wie aus Eisen waren, hielt er sie fest an seine Brust gepreßt.
Am Fuß der Treppe vertrat Kerlan ihm den Weg. „Euer Gnaden! Sie können doch nicht ...‚ Seine Stimme erstarb, als Jerome an ihm vorbei auf die Haustür zusteuerte.
Dabei rief er dem Butler über die Schulter zu: „Kerlan, bitte informieren Sie Mr. und Mrs. Wingate darüber, daß ihre Nichte mir die Ehre erweist, meine Gemahlin zu werden.‚
„Ich habe dir wiederholt gesagt, daß ich dich nicht heirate!‚ protestierte Rachel mit sich überschlagender Stimme.
„Ich habe es gehört‚, versicherte er und trug sie durch die Haustür.
Maxi rannte ihm nach. Offenbar hielt er dies für ein aufregen-
des, neues Spiel. Wild kläffend sprang er an Jerome hoch, wäh- rend dieser Rachel die Treppe hinab und zu der wartenden Kut- sche trug.
Kammerdiener, Kutscher und Reitknecht standen starr und steif wie die Zinnsoldaten neben der Karosse und verfolgten mit offenen Mündern die Szene, die sich vor ihren Augen ab- spielte.
„Was hast du vor?‚ fragte Rachel in hilflosem Zorn.
Die Tür der Kutsche stand offen, und Jerome schob Rachel un- sanft hinein. „Diesmal entführe ich dich.“
„Nach Parnlee, John!‚ rief er dem Kutscher zu.
„Aber, Euer Gnaden‚, stotterte der verdutzte Mann. „Wir woll- ten doch nach Royal ...‚
„Nach Parnlee, und zwar sofort!‚ befahl Jerome in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Hastig kletterte der Kutscher auf den Bock. Dann sagte der Herzog zu seinem Kammerdiener, der neben der Karosse stand: „Seien Sie so gut, vorn bei John aufzusteigen, ja?‚
Peters gehorchte, während Maxi die Kutsche mit wildem Gebell umkreiste. Mit einem gemurmelten Fluch sprang Jerome noch einmal hinaus, packte den aufgeregten Terrier und setzte ihn auf den Boden der Kutsche. Dann stieg er wieder ein und zog die Tür hinter sich zu. Während er neben Rachel Platz nahm, gab er den Befehl zur Abfahrt.
Der Kutscher ließ die Peitsche knallen, und die Karosse ruckte an. Maxi, der das Spiel gar nicht mehr aufregend fand, fing an zu winseln.
Jerome griff hinunter, setzte den Hund auf seinen Schoß und begann ihn zu streicheln. Es dauerte nicht lange, und Maxi rollte sich – ein mit sich und der Welt zufriedener Silberball – auf sei- nem Schoß zusammen.
Rachel schleuderte erbitterte Blicke auf den Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte. Mit seiner Erklärung, daß sie ihm als Ge- mahlin nicht gut genug war, wohingegen sie zur Mätresse taugen mochte, hatte er alles zerstört. Und jetzt hatte er die Stirn, ihr zu erklären, daß er sie heiraten würde! Noch dazu in einem Ton, als würde er ihr damit eine große Gunst erweisen. Auf diese Gunst konnte sie verzichten!
Mit eisiger Stimme sagte sie: „Ich werde dich niemals heiraten. Niemals.‚
„Frauen!‚ stieß Jerome indigniert hervor und fuhr sich mit
den Fingern durchs Haar. „Zur Hölle mich euch! Wie kann man nur so inkonsequent sein? Hast du schon vergessen, daß du mich gestern entführt hast, um mich zur Ehe zu zwingen? Jetzt, da ich sie dir anbiete, willst du nicht mehr. Dein Pech, denn jetzt hast du keine Wahl mehr.‚
„Und ob!‚ widersprach sie hitzig. „Du kannst das Heiratsge- lübde nicht von meinen Lippen zwingen.‚
„Warum bist du nur so stur? Du kannst mir doch nicht weisma- chen, daß du mich abstoßend findest. Letzte Nacht hast du mir das Gegenteil bewiesen.‚
Rachel spürte, wie sie bei der Erinnerung an ihre rückhaltlose Hingabe bis über die Ohren errötete.
Er schien ihre Gedanken zu erraten, denn plötzlich entspannten sich die grimmigen Linien seines Gesichts, und um seine Lippen zuckte es.
Es ärgerte Rachel, daß er sie so leicht durchschaute. Mit einem Ruck wandte sie sich ab und starrte aus dem Fenster. In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie war völlig verunsichert. Wenn sie doch nur das geringste Anzeichen von Zuneigung bei ihm ent- decken könnte!
Sie konnte einfach nicht vergessen, mit welcher
Weitere Kostenlose Bücher