Marlene Suson 1
gegangen war, ohne auch nur den Versuch zu machen, zu ihr zu kommen. Sie blinzelte die Tränen fort, die der Schmerz ihr in die Augen trieb. Sie hatte damit gerechnet, daß er die Nacht genauso gern mit ihr verbringen wollte wie sie mit ihm.
Wie sollte sie ihrem verbohrten Ehemann eine Lektion erteilen, wenn er ihr so in den Rücken fiel?
22. KAPITEL
Die Kutsche, die Morgan zum Transport von Rachels Habe ge- mietet hatte, erreichte Royal Elms drei Tage später, nur zwei Stunden nachdem die Karosse des Herzogs mit Peter und Maxi eingetroffen war.
Beim Anblick seiner Herrin schoß der kleine Terrier wild bel- lend die Stufen hinauf und stürzte sich in ihr? Arme. Sie fing ihn auf und drückte ihn an sich. Wie schön, daß wenigstens eine Seele auf Royal Elms sie mit uneingeschränkter Zuneigung ver- wöhnte!
Nachdem Koffer und Kisten ins Haus geschafft waren, über- wachte Rachel das Auspacken, schon allein um die Zeit totzu- schlagen.
Seit dem Nachmittag, an dem sie sich in Jeromes Schlafzim- mer so leidenschaftlich geliebt hatten, war sie ihm praktisch nur abends beim Dinner begegnet. Rachel war inzwischen so weit, daß sie das steife, prunkvolle Speisezimmer von Herzen haßte. Die bedrückende Förmlichkeit des riesigen Raumes und das halbe Dutzend eifriger Lakaien machte eine private Unterhaltung un- möglich.
Tagsüber schien Jerome sie bewußt zu meiden, und auch nach dem Dinner entschuldigte er sich stets mit liegengebliebener Arbeit.
Die kühle Reserviertheit, mit der er seine Umgebung schon im- mer auf Distanz gehalten hatte, wurde jetzt auch zu einer Bar- riere für seine Frau. Er zog sich bewußt von ihr zurück, und Ra- chel begriff nicht, weshalb er es tat, und wessen sie sich schuldig gemacht hatte.
Ihr ursprünglicher Zorn darüber, aus seinem Schlafzimmer verbannt worden zu sein, hatte sich in Bestürzung und Schmerz verwandelt, als ihr klar wurde, daß er sie auch aus seinem Le- ben zu verbannen schien. Sie verschloß die Verbindungstür zwi- schen ihren beiden Zimmern nicht mehr. Wozu auch? Im übrigen
würde sie einen nächtlichen Besuch Jeromes uneingeschränkt begrüßen.
Rachel hatte sich an Morgans Versicherung geklammert, daß sie seinem Bruder etwas bedeutete. Es wurde jedoch von Tag zu Tag schwerer, daran zu glauben. Sie wünschte sich Morgan aus London zurück, wohin Jerome ihn in Geschäften geschickt hatte. Rachel konnte es gar nicht erwarten, mit ihrem Schwager zu sprechen. Sie hatte sonst niemanden, dem sie vertrauen konnte, und sie fühlte sich so allein und isoliert.
Diese Gefühle wurden durch ihr neues Heim noch verstärkt. Überaus großzügig erbaut und kostbar ausgestattet, vermittelte es Rachel den Eindruck von kalter Pracht und Unbehagen.
Zumindest daran kann ich etwas ändern, beschloß sie mit dem Mute der Verzweiflung. Immerhin war sie jetzt die Herrin von Royal Elms, ob es Jerome paßte oder nicht. Sie würde dafür sorgen, daß dieser ehrfurchtgebietende Palast weniger einschüchternd, dafür aber wohnlicher und behaglicher wurde.
Nachdem ihre Sachen ausgepackt waren, zog Rachel ein Reit- kleid an und unternahm einen Ausritt, begleitet von Ferris, der ihr als treuer Schatten überallhin folgte. Sie genoß seine Gesellschaft und hatte schon viel von ihm erfahren. Er und Jerome waren seit früher Kindheit befreundet. Jerome hatte sogar darauf bestan- den, daß Ferris an seinem Unterricht teilnehmen durfte. Jeromes Vater war entsetzt gewesen. „Aber niemand verfolgt hartnäcki- ger sein Ziel, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, als der Herzog‚, hatte Ferris versichert.
Bei dem heutigen Ausritt spürte Rachel, daß Ferris sie beobach- tete. Schließlich sagte er mit mitfühlender Stimme: „Sie müssen mit Ihrem Gatten Geduld haben. Er wirkt manchmal ein bißchen abwesend. Aber niemand ist besorgter als er um die, die ihm am Herzen liegen.‚
Wenn ich doch auch zu denen gehören könnte, dachte Rachel traurig und spürte einen Kloß im Hals.
„Als er von der Belohnung hörte, die auf Gentleman Jacks Kopf ausgesetzt werden soll, hat er alles stehen und liegen lassen und ist nach Yorkshire gereist‚, fuhr Ferris fort. „Der Herzog hätte alles dafür getan, um Lord Morgan dazu zu überreden, die Straßenräuberei aufzugeben.‚
„Womit hat er es denn letztlich geschafft?‚
„Weiß ich nicht‚, gab Ferris achselzuckend zurück. „Er hat es eben geschafft.‚
Als Jerome und Rachel an diesem Abend nach einem weiteren spannungsgeladenen, steifen
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