Marlene Suson 2
zufrieden.
Die Sonne versank als orangeroter Glutball am baumlosen Horizont, und Meg sagte: „Ich glaube, ich gehe jetzt lieber wie- der zurück zum Wirtshaus. Mein Mann wartet sicher schon auf mich.“
Doch als sie dort ankam, war Stephen nicht da, und niemand wußte, wohin er gegangen war.
Meg stand vor dem Wirtshaus und schaute suchend über das Tal, konnte ihren Mann jedoch nirgendwo entdecken. Statt des- sen sah sie Jerome, der mit seinem Sohn auf dem Arm im Sattel dieses herrlichen Rotfuchses saß. Die Frau auf der Stute neben ihm war vermutlich seine Ehefrau. Meg beobachtete, wie das Paar den Weg entlangritt, der in den Buchenwald führte.
Dann wandte sie sich um und suchte mit den Blicken die entgegengesetzte Richtung ab. Auf der Hügelkuppe stand eine einsame Eberesche, und darunter bemerkte sie eine in sich zusammengesunkene Gestalt. Langsam ging sie darauf zu.
Als sie etwa auf halber Höhe war, richtete die Gestalt sich tau- melnd auf, und sie erkannte Stephen. Mit schleppenden Schritten kam er auf sie zu, als wäre er ein alter Mann, der schwer an der Last seiner Jahre trug.
Als er so nah war, daß Meg sein Gesicht deutlich sehen konnte, verließ sie der Mut. Stephen sah aus wie ein Mann, der gerade einen fürchterlichen Schock erlitten hatte.
Mit ein paar Schritten war sie bei ihm. „Lieber Gott, Stephen, was ist geschehen?“
„Rachel ist tot“, sagte er tonlos. „Und Wingate Hall ist an den Duke of Westleigh verkauft worden. Es gehört mir nicht mehr.“
Im ersten Augenblick spürte Meg nichts als bitteren Zweifel. Hatte das Gut Stephen denn je gehört? Doch schon im nächsten Augenblick schämte sie sich für den Gedanken. Sie brauchte ihn ja nur anzusehen, um zu begreifen, daß er von dieser verheerenden Nachricht völlig niedergeschmettert war.
Meg schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich. Er klammerte sich an sie. Er sehnte sich so verzweifelt nach dem Trost, den ihre Arme und ihr Körper ihm boten.
Wie betäubt schüttelte er den Kopf. „Ich kann es einfach nicht glauben, daß Rachel tot ist.“
„Wie ist es geschehen?“
„Sie sagen, sie hätte sich umgebracht, aber das glaube ich einfach nicht.“
„Was sollen wir jetzt tun?“ Meg fröstelte. Die Temperatur fiel zusehends und versprach eine kalte Nacht.
„Am äußersten Rand des Grundstücks gibt es ein Kavaliers- haus, das nicht mehr benutzt wird. Es ist nicht weit von hier. Laß uns hingehen und dort übernachten.“
„Und was wird morgen?“
Und übermorgen, und danach?
Wieder schüttelte er den Kopf. „Ich werde versuchen, mit Westleigh zu sprechen. Vielleicht hilft er mir.“
Stephens mutlose Stimme verriet Meg, daß er wenig Hoffnung hatte. „Du glaubst nicht, daß er es tun wird?“
„Nein, er hat mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr er mich verachtet. Es wird ihm ein Vergnügen sein, mich im Staub vor seinen Füßen zu sehen, um mich dann mit eiskalter Arroganz abfahren zu lassen. Er wird mir erklären, daß ich mein Schicksal voll und ganz verdiene.“ Stephen wirkte wie vernichtet. „Und vielleicht tue ich das ja auch, aber du nicht.“
Schwerfällig setzte er sich in Bewegung. „Komm, dieser Weg führt zum Kavaliershaus.“ Er ging mit Meg an den kleinen Häu- sern vorbei und nahm dann den Weg, auf dem Jerome und seine Frau vorher weggeritten waren.
Die Sonne war untergegangen, doch zum Glück war der Himmel klar. Tausende von Sternen glitzerten an dem schwar- zen Baldachin, und der Mond war eine fast makellos runde Scheibe.
Allerdings war es auch kalt. Meg zitterte in ihrem dünnen Mantel und wünschte, sie wäre wärmer angezogen. Während
sie ihrem Mann über den mondbeschienenen Weg folgte, ver- suchte sie die panische Angst niederzukämpfen, die sie ergriffen hatte. Was sollte nun aus ihnen werden? Würde sie Josh jemals wiedersehen? Die Frage schnitt ihr wie ein Messer ins Herz.
Als hätte er ihre Gedanken erraten, drehte Stephen sich plötz- lich um und nahm sie in die Arme. Sie sah die Tränenspuren auf seinen Wangen. „Megan, mein Liebes, irgendwie werde ich einen Weg finden, um Josh zu holen. Und ich werde alles wiedergut- machen. Ich weiß noch nicht wie, aber ich schwöre dir, daß ich es tun werde.“
Meg wußte, daß er es ernst meinte, und ihre Zweifel zerrannen. Dies war der Mann, der geblieben war, um ihr zu helfen, obwohl er sich damit in so große Gefahr brachte. Es war der Mann, der das gewonnene Geld, das er so dringend für sich selbst brauchte, den
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