Marlene Suson 2
kurzen Anstandsbesuch zu bewegen.“
„Das gebe ich zu, aber das war einmal. Ich bekenne auch, daß ich die Standpauke verdiente, die Sie mir seinerzeit gehalten haben. Ich war ein Idiot.“
Die Brauen des Herzogs hoben sich fragend. „Wollen Sie etwa behaupten, daß Sie sich geändert haben, Arlington?“
„Ja, obwohl Sie mir höchstwahrscheinlich nicht glauben wer- den.“
Eine in eine Decke gehüllte Frau stob aus dem Zimmer am Ende des Flurs.
„Stephen!“ jauchzte sie überglücklich und stürzte sich auf ihn. Er erstarrte zur Salzsäule. Er hatte geglaubt, nie wieder in dieses Gesicht sehen zu dürfen, das jetzt vor Seligkeit strahlte.
Rachel hielt mit einer Hand die Decke fest, schlang den anderen Arm um ihren Bruder und lachte und weinte zugleich. „Stephen! Du bist es wirklich! Ich wußte ja, daß du nicht tot bist. Ich habe es immer gewußt!“
„Rachel!“ Ganz benommen drückte er seine Schwester an sich. Er konnte es noch immer nicht fassen, daß sie wirklich und wahrhaftig noch am Leben war. Als ihm schließlich däm- merte, daß der warme Körper in seinen Armen kein Trugbild war, mischten seine Tränen sich mit ihren. Überglücklich lagen die Geschwister einander in den Armen, als wollten sie sich nie mehr trennen.
Schließlich hob Stephen den Kopf und schob seine Schwester ein Stück von sich ab. Sein Blick glitt von ihr zu dem Herzog, der inzwischen seine Hose angezogen hatte. Stephen runzelte die Stirn, weil ihm erst jetzt einzugehen schien, was die Situation bedeutete. „Wieso bist du hier, Rachel?“
Der Herzog beantwortete an ihrer Stelle die Frage. „Weil sie meine Frau ist.“
Verdutzt ließ Stephen die Arme sinken. „Ist das wahr, Rachel?“
Ihr Lächeln wurde noch strahlender. „Wünsch mir Glück, großer Bruder.“
Ein Blick auf sie verriet, daß sie dieses Glück bereits in vol- lem Maße auskostete. Einen Augenblick wußte Stephen nicht, was er sagen sollte. Er hätte es nie für möglich gehalten, daß seine geliebte kleine Schwester ausgerechnet den Duke of West- leigh heiraten könnte. Doch jetzt stellte er zu seiner eigenen Überraschung fest, daß der Gedanke ihm gefiel.
Und das hatte nichts mit Titel und Reichtum zu tun. Er brauchte nur zu sehen, wie Westleigh Rachel anschaute, um zu wissen, daß er sie von Herzen liebte. Stephen war sicher, daß der Herzog seiner Schwester ein verantwortungsbewußter, lie- bevoller Ehemann sein würde – ganz im Gegensatz zu Anthony Denton.
„Das freut mich, Rachel.“ Er umarmte sie innig. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht, daß du inzwischen Anthony Dentons Verführungskünsten erlegen sein könntest.“
Wieder ein kritischer Blick von Westleigh. „Aber Denton war doch einer Ihrer Busenfreunde.“
„Das bedeutet noch lange nicht, daß ich mir so einen Schür- zenjäger für Rachel wünsche. Ich möchte, daß meine Schwester glücklich wird.“
„Ach, Stephen, ich habe mir doch nie etwas aus Denton ge- macht“, versicherte Rachel. „Ich fand, genau wie Papa, daß er einen schlechten Einfluß auf dich hat.“
Liebevoll lächelte Stephen sie an. „Du warst schon immer klüger als ich, Schwesterchen.“
Nachdenklich ruhte der Blick des Herzogs auf ihm. „Vielleicht haben Sie sich ja wirklich geändert, Arlington.“
Stephen erwiderte Westleighs Blick und fand insgeheim, daß er offenbar nicht der einzige Mann in diesem Haus war, der sich geändert hatte. Er nickte lächelnd. „Das habe ich in der Tat. Was ich in den letzten zwei Jahren durchgemacht habe, hat mich erkennen lassen, was wirklich von Bedeutung ist. Es wird nicht einfach sein, doch ich hoffe, ein so umsichtiger Gutsherr zu werden, wie mein Vater es war.“
Ein zufriedenes Schmunzeln breitete sich über das Gesicht des Herzogs. „Dann soll es mir ein besonderes Vergnügen sein, Wingate Hall in Ihre Hände zurückzulegen.“
Mit offenem Mund starrte Stephen ihn an. „Wollen Sie damit sagen, Sie schenken mir den Besitz?“
„Er gehört nicht mir, Arlington. Er gehört Ihnen.“
„Was?“
In banger Sorge wartete Meg am Waldrand, wo Stephen sie zu- rückgelassen hatte. Nachdem er um die Ecke des Hauses gestürmt war, hatte sie einen lauten Krach gehört, als wäre ein Möbel- stück umgestürzt, gefolgt von zornigen Stimmen, von denen eine ihr fremd war und die andere ihrem Mann gehörte.
Jetzt war nichts mehr zu hören. Es war auch kein Schuß ge- fallen, und es gab keinerlei Geräusche, die auf einen Kampf hinwiesen. Ihr Mann hatte ihr
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