Marlene Suson 2
hatte nicht gewußt, daß Jerome Stephen begleiten wollte. „Dann können Sie sich den Tag freinehmen“, erklärte sie huldvoll. „Ich möchte allein ausreiten.“
„Es tut mir leid, Mylady, aber der Herzog reißt mir den Kopf ab, wenn ich zulasse, daß Sie allein durch eine Gegend reiten, die Ihnen völlig fremd ist.“
Dies war eine Komplikation, die Meg nicht vorhergesehen hatte. Sie überlegte fieberhaft, was sie tun sollte. Am besten war es wohl, eine so weite Strecke wie möglich zurückzulegen, bevor sie mit dem Ziel ihres Ritts herausrückte. Schließlich war Ferris nur ein Dienstbote. Er würde nicht wagen, sie zur Rückkehr nach Royal Elms zu zwingen. Vielleicht würde sie ihn sogar bestechen können, ihr Geheimnis zu wahren.
„Also gut, aber ich reite, wohin ich will“, sagte sie mit schar- fer Stimme. „Wenn Sie mich schon begleiten müssen, dürfen Sie mich nicht behindern. Ich beabsichtige einen scharfen Ritt.“
„Das dachte ich mir schon, Mylady.“
Seine Stimme wirkte so ausdruckslos, daß sie ihn argwöhnisch beäugte. Er war anders als alle Dienstboten, die sie kannte, und er hörte sich auch anders an. Seine Ausdrucksweise war ebenso gewählt wie die seiner Herrschaft.
„Sind Sie schon lange beim Herzog, Ferris?“
„Sehr lange, Mylady.“
Welches Tempo Meg auch immer vorlegte, Ferris blieb stets eine halbe Pferdelänge hinter ihr. Falls er bemerkt hatte, daß sie nicht nur Royal Elms, sondern auch die Grenze von Bedfordshire schon hinter sich gelassen hatten, gab er doch keinen Kommen- tar dazu ab. Als Meg nach einiger Zeit ihren mit Schaumflocken übersäten Wallach in einen langsamen Schritt fallen ließ, schloß Ferris zu ihr auf.
„Ohne Pferdewechsel ist es zu weit bis London, Mylady. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zu einer Poststation, wo Ersatzpferde des Herzogs stehen.“
Sprachlos vor Überraschung starrte Meg ihn an.
„Ich muß darauf bestehen, daß wir die Pferde dort wechseln. Seine Gnaden legt allerhöchsten Wert darauf, daß seine Tiere nicht überfordert werden.“
„Wieso ... wie kommen Sie auf die Idee, daß ich nach London will?“
Er hob die Brauen. „Wohin sollten Sie sonst auf dieser Straße wollen?“
Wie sie schon vermutet hatte, war der Mann alles andere als dumm. „Sie werden mich nicht aufhalten“, sagte sie drohend.
„Das liegt auch nicht in meiner Absicht.“ Und nach einer kur- zen Pause fügte er hinzu: „Doch ich beabsichtige sehr wohl, für Ihre Sicherheit zu sorgen.“
Schweigend musterte sie ihn. „Weshalb tun Sie das?“ fragte sie dann.
Ein merkwürdiger Ausdruck trat in sein Gesicht. Meg hatte das Gefühl, als erinnerte er sich an eine andere Begebenheit, bei der auch eine Frau eine Rolle gespielt hatte. „Ich mag unterneh- mungslustige Frauen, Mylady.“ Er lächelte verschmitzt. „Und Seine Gnaden auch.“
Dunkelheit senkte sich über London, als Stephen das Stadthaus der Tabers am Berkeley Square verließ. Es nieselte, und er war froh, daß er in Jeromes Chaise gekommen war. Als er auf die Kut- sche zuging, berührte er die Schramme auf seiner linken Wange und zuckte leicht zusammen.
Als er Caro gesagt hatte, daß ihre Affäre beendet wäre, hatte sie ihm zunächst nicht glauben wollen. Als es ihm dann schließlich gelang, sie davon zu überzeugen, daß es ihm ernst damit war, hatte sie sich haargenau so aufgeführt, wie er befürchtet hatte.
Diese Frau war vermutlich die beste Kundin der europäischen Porzellanmanufakturen!
Zum Glück war ihre Treffsicherheit ebenso mangelhaft wie ihre Selbstbeherrschung.
Es war zu spät, um heute abend noch nach Royal Elms zu- rückzureiten, und so beschloß er, bis morgen früh in London zu bleiben. Sonderbar, wie wenig der Gedanke ihm behagte. Früher hatte er sich kaum von dieser Stadt losreißen können, doch jetzt bedeuteten ihre Attraktionen ihm nichts mehr. Sein einziger Wunsch war, nach Bedfordshire und zu dem Glück zurückzukehren, das er in den Armen seiner Frau gefunden hatte.
Er konnte es kaum abwarten, ihr zu berichten, daß Ashley Grove wieder ihr gehörte. Nach einer überraschend kurzen Ver- handlung erklärte der Kronrat die von Richter Baylis verfügte Vormundschaft für null und nichtig. Des weiteren befand er, daß Hiram Flynt Ashley Grove durch Betrug an sich gebracht hatte und daß die Plantage an Megan zurückzuerstatten sei.
Stephen wollte gerade in die Kutsche steigen, als er den Huf- schlag galoppierender Pferde hörte. Er schaute in die
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