Marlene Suson 2
die mein Bruder bewegen darf.“
Stephen erinnerte sich gut an die großartigen Stallungen auf Ashley Grove. „Ihr Vater hat Rennpferde gezüchtet, nicht wahr?“
Megs Lächeln erstarb, und sie sah ihn traurig an. „Ja.“ Dann wandte sie sich hastig ab. „Ich muß noch das Unkraut im Gemüsegarten jäten.“
Stephen folgte ihr nach draußen. Er hätte sich ohrfeigen können, weil er sie wieder an ihren Verlust erinnert hatte.
Rund um die Lichtung, auf der es außer dem Blockhaus noch zwei kleinere Hütten gab, ragten Baumstümpfe aus dem Boden. An einer Stelle führte ein Weg durch die Bäume in Richtung eines fließenden Wassers, dessen Rauschen man bis zum Haus hören konnte.
Stephen setzte sich auf einen der Baumstümpfe und sah Meg
beim Jäten zu. Er genoß den warmen Sonnenschein, lauschte auf das Zwitschern der Rotkehlchen und atmete tief die frische, klare Luft ein, die würzig nach Kiefern duftete. Er wünschte, er wäre kräftig genug, um Meg zu helfen. Sie war eine so energie- geladene Frau, und jeden Tag entdeckte er neue Talente an ihr. Am vergangenen Abend hatten er und Josh ihr so lange zuge- setzt, bis sie ihnen etwas auf der Flöte vorspielte. Stephen war beeindruckt gewesen, weil sie so gut spielte.
Als Meg im Garten fertig war, kam sie zu ihm herüber. „Sie sehen aus, als wären Sie in Gedanken weit weg.“
Stephen lächelte. „Ja, ich dachte gerade an Wingate Hall, mein Zuhause in Yorkshire. Als ich noch ein Junge war, bin ich so gern durch die Wälder gestreift.“
„Sie vermissen es sicher sehr.“
„Es ist ganz sonderbar. Als ich noch in England lebte, war ich am liebsten in London. Ich zog die Reize der Großstadt vor.“ Wenn er jetzt an seine Heimat dachte, wie er es so oft tat, sehnte er sich nicht mehr nach London, sondern nach den grünen Tälern und heidebedeckten Mooren von Yorkshire. Würde er all das je wiedersehen? Er hatte so viel besessen, aber wirklich schätzen lernte er es erst, nachdem er es verloren hatte. „Jetzt vermisse ich am meisten mein Zuhause und denke kaum noch an London.“
Meg ging zu dem Schuppen, den sie als „Scheune“ bezeich- nete, und Stephen trottete nebenher. Als sie an der kleinsten der drei Hütten vorbeikamen, verriet das von drinnen kommende Gackern, daß es ein Hühnerstall war.
Er faßte in Worte, was ihm schon lange durch den Kopf ging: „Sie sagten, Sie wären in diesem Frühling hergekommen, aber die Farm macht den Eindruck, als wäre sie schon ein paar Jahre alt.“
„Das stimmt auch. Bevor mein Vater starb, verpachtete er das Land an einen Mann namens Matson, der sich mit seiner Fami- lie hier ansiedelte. Sie rodeten das Land und bauten die Hütten. Als Charles unser ganzes Vermögen verjubelt hatte, versuchte er die Pacht für diese Farm zu erhöhen. Aber sie warf kaum genug ab, um die Matsons satt zu machen. Deshalb gaben sie die Farm auf und zogen fort.“
„Und Ihr Stiefvater beschloß, sie selbst zu bewirtschaften? Verstand er denn etwas von der Landwirtschaft?“
„Das einzige, was Charles verstand, war feiern, spielen und reichen Witwen den Hof zu machen“, gab Meg bitter zurück.
„Dann verstehe ich nicht, weshalb so ein unfähiger Tagedieb wie Galloway auf die Idee kam, hier im Grenzland eine Farm zu betreiben.“
„Ich war selbst überrascht. Nachdem wir hier angekommen waren, hatte ich den Eindruck, daß er nicht lange bleiben würde. Um die Wahrheit zu sagen, ich dachte, es würde mein Stiefva- ter sein, der sich aus dem Staub macht, und nicht Quentin.“ Sie hob die Schultern. „Vielleicht hätte er es auch getan, wenn er länger gelebt hätte. Aber wir waren kaum drei Wochen hier, als er getötet wurde.“
Je mehr Stephen über Galloway erfuhr, desto verdächtiger wurde er ihm. „Sie sagten, er starb bei einem Streit?“
Meg nickte. „Im Wirtshaus. Er geriet mit zwei Fremden aneinander.“
Sie hatten die Scheune erreicht. Darin standen drei Tiere: ein Ochse, eine Milchkuh und ein altes, kreuzlahmes Pferd.
Stephen schüttelte den Kopf. Angesichts dieses erbärmlichen Kleppers war es kein Wunder, daß Josh Wilhelms Pferde vorzog. „Ist das Ihr ganzer Viehbestand?“
Meg wies mit der Hand zu dem angrenzenden Wald. „Wir ha- ben noch drei Schweine, die wir frei laufen lassen, damit sie sich unter den Bäumen ihr Futter suchen können.“
„Wo ist der Planwagen und das Gespann, mit dem Sie herge- kommen sind?“
„Gleich nach unserer Ankunft hat Charles alles an eine deutsche Familie
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