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Marlene Suson 2

Marlene Suson 2

Titel: Marlene Suson 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Mitternachts-Lord
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    Sie holte den dicken Band mit Shakespeares Dramen heraus und reichte ihn Stephen. Auf dem Ledereinband war der Name des Dichters in goldenen Lettern eingraviert.
    Es stellte sich heraus, daß Stephen der beste Vorleser war, den Meg je gehört hatte. Man merkte gleich, daß er das Stück gut kannte. In der Eröffnungsszene las er den Part der drei Hexen mit schriller, kreischender Stimme. Und im zweiten Aufzug ließ er Duncan mit der tiefen, sonoren Stimme sprechen, die einem König zukam.
    Im Verlauf des Stückes ahmte Stephen eine ganze Reihe von Stimmen nach, um den unterschiedlichen Charakteren Gestalt zu verleihen.
    Meg hob den Kopf von ihrer Näharbeit und sah, daß Josh von

Stephens Darbietung so gefangen war, daß er sein Gewehr ganz vergessen hatte.
    Als Stephen geendet hatte, sagte Meg: „Sie sind ja ein ganz hervorragender Tragöde.“ Obwohl das ein aufrichtiges Kompli- ment war, beunruhigte seine Fertigkeit sie doch ein wenig. Ein Mann mit solchen Talenten konnte jede Geschichte – auch eine von Presserbanden und einer verzweifelten Flucht – glaubhaft klingen lassen. „Waren Sie zu Haus in England vielleicht zufällig Schauspieler?“
    Er grinste jungenhaft. „Meine Schauspielkünste beschränk- ten sich auf die Scharaden, die meine Mutter auf Wingate Hall veranstaltete, als ich noch ein Junge war.“ Sein Gesicht wurde plötzlich ernst, als täte die Erinnerung ihm weh.
    „Warum sehen Sie so traurig aus?“ fragte Meg.
    Er schaute auf das Buch in seinem Schoß. „Wie so viele andere Dinge wußte ich auch meine Eltern und mein Heim nicht richtig zu würdigen, bis ich alles verlor.“
    Die Trauer und das schmerzliche Bedauern in seiner Stimme schnitten Meg ins Herz. Am liebsten hätte sie tröstend seine Hand gedrückt, wie er sie getröstet hatte, als sie ihm von ihrem Vater erzählte.
    Sie rief sich zur Ordnung. Was war nur los mit ihr?
    Meg glaubte zu wissen, was Stephen Wingate für ein Mann war, und dennoch konnte sie ihm einfach nicht widerstehen. Es schockierte sie, mit welcher Geschwindigkeit es diesem Mann gelungen war, ihr tiefverwurzeltes Mißtrauen zu erschüttern. Wo war die willensstarke Frau geblieben, die Ashley Grove mit fe- ster, kluger Hand geleitet und ihre Gefühle stets im Griff gehabt hatte?
    Als Meg am nächsten Morgen mit drei Eiern in ihrem Korb aus dem Hühnerstall kam, trottete Josh gerade davon, um im Maisfeld Unkraut zu jäten.
    Als sie das Blockhaus betrat, saß Stephen – noch immer in Galloways Nachthemd – am Tisch. Vor ihm stand die kleine Schüssel mit Wasser, und in der Hand hielt er das Rasiermesser ihres Vaters. Er hatte den alten Spiegel von der Wand genommen und ihn gegen die Wasserschüssel gelehnt.
    Auch gestern schon hatte er sich zu rasieren versucht und sich dabei so oft geschnitten und so gotteslästerlich geflucht, daß Meg

schließlich darauf bestanden hatte, die Sache selbst zu Ende zu bringen.
    Jetzt sagte sie: „Kommen Sie, lassen Sie mich das machen. Das ist besser für Ihr Gesicht und meine Ohren.“
    Er lachte. Es war dieses ansteckende Lachen, das irgendwie erregend auf sie wirkte. Gehorsam reichte er ihr das Rasiermesser.
    „Mein Gesicht wird Ihnen ewig dankbar sein.“
    Als Meg fertig war, betrachtete er sich im Spiegel. „Eine hervorragende Arbeit“, lobte er.
    „Danke.“ Früher hatte Meg sich nicht viel aus Komplimenten gemacht und sie als leeres Süßholzraspeln abgetan. Nun fragte sie sich, weshalb ihr dieses Kompliment soviel Freude machte, zumal es von einem Mann kam, dem zu trauen sie immer noch nicht wagte.
    Sie ging zu der Eichentruhe, in der sie die Besitztümer ihres verstorbenen Stiefvaters aufbewahrte, und sah die eleganten, aber nutzlosen Kleidungsstücke durch, die Charles Galloway mitgebracht hatte, um sie hier im Grenzland zu tragen.
    „Was machen Sie?“ fragte Stephen.
    „Sie werden eine Hose brauchen, die Sie zu dem Jagdhemd tragen können, das ich für Sie mache. Charles hatte eine Hose aus Wildleder, die Sie haben können.“
    Schließlich fand sie die Hose, die sie suchte. Sie lag unter ei- nem Packen Briefe und Dokumente, die mit einem roten Band zusammengebunden waren. Sie zog die Hose heraus und reichte sie Stephen. „Probieren Sie sie an.“
    „Nur, wenn Sie sich umdrehen und versprechen, nicht herzu- sehen“, sagte er grinsend. „Ich bin nämlich sehr genant.“
    „Das bezweifle ich“, widersprach Meg. Doch dann fiel ihr ein, daß er von der Natur ja so stark

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