Marlene Suson 2
Geldes noch nicht zu schätzen gewußt. Und er hatte auch nicht gewußt, wie schwer es war, es zu verdienen.
Wenn er nach England zurückkehrte, würde er ein ganz anderer Mensch sein.
Wenn er zurückkehrte.
Laß mich nicht im Stich, George. Laß mich um Gottes willen nicht im Stich. Komm her, bevor Hiram Flynts Spürhunde es tun.
13. KAPITEL
Meg schaute immer wieder zur Tür, während sie Beiderwand, ein grobes Halbwolltuch, auf ihrem Webstuhl anfertigte. Ste- phen und Josh waren draußen und erledigten die abendlichen Pflichten. Ohne sie wirkte das Blockhaus schrecklich leer.
Die Tür ging auf, und ihr Bruder kam herein, gefolgt von Ste- phen, der zwei Wassereimer trug. Wie Meg vorausgesagt hatte, war Joshs Fußgelenk auf wunderbare Weise geheilt, nachdem Stephen vor zwei Wochen verkündet hatte, daß er bis nach der Ernte bleiben würde. Plötzlich hinkte Josh nicht einmal mehr.
Es freute Meg, daß Stephen den Jungen so unter seine Fit- tiche genommen hatte und damit hoffentlich Quentins und Charles’ schlechtem Einfluß entgegenwirkte. Durch Worte und Taten lehrte Stephen Josh, ein verantwortungsbewußter Mann zu werden, der keine Arbeit scheute.
Den Erfolg von Stephens Bemühungen erkannte Meg an vielen Kleinigkeiten, wie beispielsweise an dem Holzstoß. Josh warf das Feuerholz nicht mehr einfach auf einen Haufen, wie er es früher getan hatte, sondern schichtete es in einem sauberen Stapel auf, wie Stephen es tat. Ganz allmählich begann Stephen, Wilhelms Stelle als Vorbild ihres Bruders einzunehmen.
„Könntest du heute abend nicht mal wieder ein bißchen Flöte spielen, Meg?“ fragte Josh.
Meg seufzte. „Ich habe keine Zeit.“
„Gönnen Sie sich doch eine kleine Pause, Megan.“ Stephens sonore, schmeichelnde Stimme wurde von diesem unwiderstehli- chen Lächeln begleitet, das seine Wirkung auf sie selten verfehlte. „Ach bitte, ja? Ich höre Sie auch so gern spielen.“
Meg gab sich geschlagen.
Während sie vom Webstuhl aufstand und zu ihrem kleinen Lederkoffer ging, in dem sie die Flöte verwahrte, sagte Josh zu Stephen: „Sie sollten sie mal Harfe spielen hören.“ Das Gesicht
des Jungen strahlte vor Stolz. „Alle sagen, daß sie eine richtige Künstlerin ist.“
Meg trauerte um ihre verlorene Harfe wie eine Mutter um ihr Kind. Auf Ashley Grove hatte sie oft Stunden an diesem In- strument verbracht. Auf der Harfe konnte sie all ihre Gefühle ausdrücken, Freude und Sorgen, Hoffnungen und Ängste. Doch Charles hatte verboten, sie mitzunehmen, weil sie zu groß war. Das sah sie ja ein, aber er hatte auch ihre Geige für zu groß erklärt und ihr nur die Flöte erlaubt.
Der Schrankkoffer, den Charles mit seiner eleganten, für hiesige Verhältnisse völlig untauglichen Garderobe vollgestopft hatte, war natürlich nicht zu groß gewesen. Und auch nicht die dicke Federmatratze für sein Bett.
Meg holte ihren Flötenkasten aus dem Koffer und öffnete ihn. Mit großer Sorgfalt steckte sie die drei Teile zusammen, spielte ein paar Tonleitern und Triller, um die Finger geschmeidig zu machen, und begann dann mit ihrem Vortrag.
Nachdem sie ein paar Stücke gespielt hatte, forderte sie Josh und Stephen zum Mitsingen auf. Als sie ein bekanntes Volkslied anstimmte, sang Josh sofort mit seiner noch unfertigen Stimme mit.
Bei der zweiten Zeile fiel auch Stephen ein. Mit einem übermü- tigen Grinsen sprang er auf und begann, sich nach dem Wortlaut des Liedes zu bewegen.
„Stamps his foot and claps his hands“, sang er und stampfte mit den Füßen und klatschte in die Hände.
„Then turns round to view the land.“ Stephen wirbelte herum wie ein ausgelassener Junge. Sein sonorer, warmer Bariton jagte Meg einen wohligen Schauer über den Rücken.
Dann streckte er blitzschnell die Hand aus und rupfte ihr die Haube vom Kopf. Mit einem durchtriebenen Grinsen versteckte er sie hinter dem Rücken.
Meg brach mitten im Stück ab. „Oh, nicht schon wieder!“ ächzte sie in komischer Verzweiflung.
„O doch“, widersprach Stephen lachend.
Die Sache mit der Haube war zu einer Art Sport zwischen ihnen geworden. Meg weigerte sich, seinem Wunsch zu entsprechen, sie nicht mehr zu tragen. Deshalb stahl er sie ihr vom Kopf, wann immer sich eine Gelegenheit bot, und forderte dann Lösegeld für die Rückgabe.
Er hielt die Haube hoch über dem Kopf. „Erst die Belohnung.“
„Was ist es denn diesmal?“ fragte sie, obwohl sie die Antwort genau kannte.
„Ein Kuß natürlich.“
Sie gab ihm einen
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