Marlene Suson 2
noch immer bewußtlos. Wieso eigentlich? Offensichtlich hatte sie kein Wasser in der Lunge, denn sie atmete gleichmäßig und ruhig.
Behutsam griff er mit den Fingern in ihr nasses Haar und un- tersuchte ihren Kopf. Am Hinterkopf entdeckte er eine Beule, fast so groß wie ein Hühnerei. Vermutlich war sie bei dem Sturz mit dem Kopf an einen Felsen geschlagen und hatte dabei das Bewußtsein verloren. Was für ein Glück, daß sie mit dem Gesicht nach oben im Wasser gelegen hatte!
Stephen öffnete den triefenden Mantel und schaute ratlos auf das gelbe Kleid. Megan zitterte vor Kälte. Sie mußte sofort aus diesen nassen Sachen heraus. Doch es würde viel zu lange dauern, wenn er versuchte, sie ihr auszuziehen.
Er sprang auf und griff nach dem Häutemesser. Es war ihm
gar nicht recht, ein Stück aus Megans ohnehin so bescheidener Garderobe ruinieren zu müssen, doch es blieb ihm keine Wahl. Entschlossen schnitt er mit dem Messer Kleid und Hemd von oben bis unten auf und schob den vor Nässe triefenden Stoff von ihrem Körper, der genauso war, wie er ihn sich vorgestellt hatte: vollkommen, schlank und zart.
Sein Atem stockte, als er ihre hohen, festen Brüste mit den rosigen Knospen sah. Er ließ den Blick hinabwandern zu der schmalen Taille und den leicht geschwungenen Hüften.
Doch er hatte keine Zeit, sich in Bewunderung zu verlieren. Er griff nach einem Handtuch und rieb ihren Körper kräftig ab. Dann hob er sie von den nassen Kleidern hoch, legte sie behut- sam auf eine Decke, die er über Joshs Bett gebreitet hatte, und wickelte sie fest darin ein.
Seitdem Stephen Charles’ Bett in Megans neues Schlafzimmer gebracht hatte, schlief er selbst in ihrem alten Bett. Hastig riß er die Matratze heraus und legte sie dicht vor den Kamin. Dann hob er Megan mitsamt der Decke von Joshs Bett an und legte sie auf die Matratze.
Trotz der Decke zitterte sie wie Espenlaub. Er mußte mehr tun, um sie zu wärmen. Wenn doch seine Schwester hier wäre! Rachel würde wissen, wie man Megan helfen könnte.
Er fühlte sich so verdammt hilflos. Kurz entschlossen riß er sich die nassen Sachen vom Leib, trocknete sich ab, öffnete die Decke und legte sich zu Megan auf die Matratze. Er preßte sich so eng wie möglich an sie, um ihr von seiner Wärme abzugeben.
Bei der Berührung mit ihrer eisigen Haut überlief ihn ein Frösteln. Er schlang die Arme um sie, um ihr noch näher zu sein.
„Bitte, Megan, verlaß mich nicht“, flehte er. „Ich liebe dich so sehr.“
Die Worte, die er laut in die Stille gesprochen hatte, schok- kierten ihn, doch sie entsprachen der Wahrheit. Er liebte Megan wirklich, liebte sie so sehr, daß er mit Freuden sein eigenes Leben für sie hingegeben hätte.
Angesichts der schrecklichen Möglichkeit, sie für immer zu verlieren, kam ihm zum Bewußtsein, daß er sich nichts mehr wünschte, als diese Frau an seiner Seite zu haben.
Für den Rest seiner Tage.
Als seine Frau.
Es machte ihm nichts mehr aus, daß sie eine Bürgerliche war
und keine passende Partie für einen englischen Grafen. Sie war die einzige Frau, die er wollte. Er dachte daran, wie sehr er ihre Gesellschaft genossen hatte. Mit ihr hatte er das Glück gefunden, den Frieden und die innere Ruhe, die ihm in all den Londoner Jahren gefehlt hatte. Damals hatte er sich von einem Vergnügen ins andere gestürzt, auf der Suche nach ... er hatte selbst nicht gewußt, wonach.
Nun hatte er es gefunden.
Mit Megan.
Es war die Liebe.
Es scherte Stephen keinen Deut, ob die Londoner Gesellschaft Megan als seine Gemahlin akzeptieren würde. Wenn nicht, was machte es schon! Er würde London und die ganze High-Society ignorieren. Er würde mit Megan auf Wingate Hall leben, wo sie vor den Kränkungen der Snobs sicher war.
Er dachte an seine blasierten Freunde, die sich über die Liebe zwischen Eheleuten mokierten. Damals hatte er ins gleiche Horn geblasen.
Nun wußte er, wie gründlich er sich geirrt hatte.
Mit seinem ganzen Körper versuchte Stephen, Megans eisigen, starren Leib aufzuwärmen. Allmählich ließ ihr Zittern nach und hörte schließlich ganz auf. Sie stöhnte und begann, sich unruhig zu bewegen.
Er murmelte ihr sanfte, beschwichtigende Wort ins Ohr und versuchte, sie zur Ruhe zu bringen, wie sie es damals bei ihm getan hatte, als er im Fieber lag. Mit leiser Stimme sprach er von seiner Liebe zu ihr, wie teuer sie ihm war und wag für ein glückliches Leben sie führen würden, wenn sie miteinander alt wurden. Langsam kam sie zur
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