Marlene Suson 2
umringten Stephen und klopften ihm auf den Rük- ken. Er grinste breit und dankte ihnen für ihre Unterstützung und ihr Vertrauen.
Ihr Vertrauen! Wie auch Meg ihm blind vertraut hatte. Sie drehte sich um und floh um die Ecke von Wilhelms Blockhaus. Sie mußte jetzt allein sein.
Als Reif in der Lichtung aufgetaucht war, hatte Stephen schon geglaubt, jetzt wäre alles zu Ende. Er war sicher, daß der ge- fürchtete Kesselhaken sich bald wieder um seinen Hals schließen würde. Doch er war noch einmal davongekommen.
Trotzdem war ihm völlig klar, daß dies nur ein kleiner Aufschub war. Er wußte, wie sehr Flynt ihn haßte. Der Menschenschinder würde sehr bald hier auftauchen und Anspruch auf ihn erheben. Bevor das passierte, mußte er, Stephen, fort sein.
Sein Geld reichte für zwei Schiffspassagen. Er war sicher, daß Wilhelm und Gerda bereit waren, Josh für eine Weile bei sich aufzunehmen, denn er wußte, wie gern sie den Jungen hatten. So- bald Stephen England erreichte, würde er jemanden herschicken, um Josh nachzuholen. Irgendwie mußte er Megan dazu bringen, sofort mit ihm aufzubrechen.
Ohne sie würde er nicht gehen. Möglicherweise war sie schon schwanger, und es war ausgeschlossen, daß er sie allein hier zurückließ.
Stephen zwang sich, mit den Siedlern zu scherzen und zu la- chen, bis die Musik einsetzte und der Tanz begann. Dann nahm er Wilhelm beiseite und bat ihn um eine Unterredung unter vier Augen.
Als Stephen Wilhelm zwanzig Minuten später verließ, spielte der Geiger gerade einen flotten Reel. Suchend sah Stephen sich nach seiner Frau um. Er entdeckte Josh mit ein paar Jungen am Waldrand, doch Megan war nirgendwo zu sehen.
Gerda trat zu ihm. „Ihre Frau ist nach Haus gegangen. Sie fühlte sich nicht wohl.“
Beunruhigt machte Stephen sich auf den Heimweg.
Er fand Megan in ihrem kleinen Schlafzimmer. Sie kauerte auf der Bettkante, die Arme fest um ihren Körper geschlungen, und starrte blicklos ins Leere. Noch nie hatte er sie so elend ge- sehen. Bei seinem Eintreten schien sie ihn kaum zu bemerken. Er setzte sich neben sie aufs Bett und wollte sie in die Arme nehmen.
„Rühr mich nicht an!“ zischte sie und sah ihn mit einem Blick an, der ihn zurückzucken ließ. „Ich ertrage es nicht, von dir berührt zu werden, Billy Gunnell!“
Der Abscheu in ihrer Stimme traf ihn bis ins Mark. „Herrgott, Megan, ich bin nicht Billy Gunnell, und das ist die Wahrheit.“
Der trostlose Ausdruck in ihren Augen griff ihm ans Herz.
„Weißt du überhaupt, was das Wort ,Wahrheit’ bedeutet?“ Ihre Stimme zitterte. „Hast du je ein wahres Wort zu mir gesagt? Oder waren das alles nur Lügen?“
„Ich habe dich nicht belogen, Megan.“ Nein, aber er hatte ihr auch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Und das, dachte er schuldbewußt, ist auch eine Art Lüge.
„Dann hast du heute nachmittag die Siedler belogen.“
Stephen hatte es nicht gern getan, doch es war ihm keine Wahl geblieben. Niemand hätte ihm die Wahrheit geglaubt.
„Ja, Megan, ich habe sie belogen. Nicht über meine Identität, sondern nur über den Grund, weshalb ich nach Amerika und hierher ins Grenzland gekommen bin. Ich mußte lügen oder mich Flynt ausliefern. Hättest du das vorgezogen?“
Vorwurfsvoll sah sie ihn an. „Du hast auch gelogen, als du behauptetest, in Baltimore ausgeraubt worden zu sein.“
„Glaub mir, ich bin wahrhaftig ausgeraubt worden, und man hat mir eine Menge mehr genommen als nur mein Geld“, sagte er bitter. „Gelogen war nur, daß es in Baltimore passierte und nicht in Dover.“
„Wie soll ich dir glauben?“
„Ich habe heute nachmittag getan, was ich tun mußte, Megan, und du auch. Du hast auch gelogen – für mich.“
„Ja, Gott helfe mir, das habe ich.“ Die Scham und der Schmerz in ihrer Stimme machten ihn ganz krank. „Aber das war, bevor ich erfuhr, daß Billy Gunnell Flynt gegenüber behauptet hatte, Arlington zu heißen.“
Sein Herz sank. Warum mußte dieser verdammte Reif auch davon anfangen! Verzweifelt fuhr Stephen sich mit den Fingern durchs Haar.
„Du warst der Mann, der das behauptet hat, nicht wahr?“
Er wollte sie nicht mehr belügen. Doch wie sollte er es ihr er- klären? „Megan, ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, daß ich nicht Billy Gunnell bin.“
„Aber du bist der Mann, hinter dem Flynt her ist“, beharrte Megan. „Die Beschreibung auf dem Steckbrief beweist es. Ich will jetzt die ganze Wahrheit hören.“ Tränen stiegen ihr in die Augen und
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