Marlene Suson 2
endlich zu vertrauen?“ Er drückte sie an sich.
Trotz ihrer Zweifel schmiegte sie sich unwillkürlich an ihn. Sie sehnte sich nach der Wärme, dem Trost und dem Schutz, den sein Körper ihr bot.
Er begann wieder, zärtlich über ihr Bein zu streichen. Sie liebte das Gefühl seiner schwieligen Hände auf ihrem Körper. Sie waren so sanft und warm. Er ließ die Hand höher gleiten, unter ihren Rock, und begann die bloße Haut ihres Schenkels zu streicheln. Megan spürte, wie das Verlangen in ihr erwachte.
„Nicht doch“, sagte sie und versuchte halbherzig, seine Hand wegzuschieben.
Sein anderer Arm umfaßte sie noch fester. „Bitte, komm mit mir nach England.“
„Ich habe Angst.“
„Nur Mut, Megan. Laß es darauf ankommen. Wo ist die cou- ragierte Frau geblieben, die es mit den Gefahren der Wildnis aufgenommen hat, um ihrem Bruder zumindest dieses kleine Erbe zu erhalten? Warum willst du nicht die Chance beim Schopf packen, um dir und Josh eine glänzende Zukunft zu sichern?“
Stephens Blick hing bittend an ihr. „Wo ist die tapfere Frau, die ein verdächtiges Individuum bei sich aufnahm, das besin- nungslos vor ihrer Tür lag, und ihm das Leben rettete? Warum willst du jetzt nicht etwas tun, das uns beiden das Leben rettet?“
„Weil ich mich davor fürchte, dir zu vertrauen“, stieß sie hervor. Der schmerzliche Ausdruck, der über sein Gesicht flog, zeigte ihr, wie sehr ihn ihre Worte verletzten.
„Megan, glaubst du denn wirklich, ein Mann, der hier bei dir blieb, obwohl es Lebensgefahr für ihn bedeutete, der dich so behandelt, wie ich es tue, könnte ein Mörder und Sittenstrolch sein?“
Nein!
Und wenn er mich belügt, wie er heute nachmittag die Siedler belogen hat?
Eine Antwort auf die Frage würde es erst geben, wenn sie in England waren. Nur dort konnte sie die Wahrheit über ihn herausfinden.
Ja, sie mußte das Risiko auf sich nehmen und mit ihm gehen.
Einen anderen Weg gab es nicht. Sie holte tief Luft und sagte mit zitternder Stimme: „Ich komme mit dir.“
Ein Leuchten ging über sein Gesicht, und er küßte sie über- schwenglich. „Du wirst es nicht bereuen“, versicherte er.
Hoffentlich behielt er recht.
22. KAPITEL
Die Raleigh, das Schiff, mit dem sie nach England gekommen waren, lag am Kai gegenüber dem Londoner Zollhaus vor An- ker. Als Meg das Schiff verließ, hatte sie seit sieben Wochen zum erstenmal wieder festen Boden unter den Füßen. Zu ihrer Bes- türzung schien er sich jedoch auch hier noch zu bewegen. Sie schwankte und kämpfte um ihr Gleichgewicht.
Sofort legte Stephen den Arm um sie und drückte sie auf- munternd an sich. „Vorsicht, mein Schatz, du hast sechs Wochen gebraucht, um deine Seebeine zu bekommen. Du kannst sie jetzt nicht in einer Minute wieder verlieren.“
Die Überfahrt war schrecklich gewesen. Sie waren mehrfach in Stürme geraten, die sie vom Kurs abbrachten, und fast alle Passagiere an Bord waren seekrank geworden. Nur Stephen und ein paar Männer der Besatzung waren nicht von dieser unangenehmen Übelkeit befallen worden.
Es hatte Augenblicke gegeben, da Meg fest davon überzeugt war, ihr Schiff würde sinken, und sie war heilfroh, daß Josh nicht mitgekommen war. Gleichzeitig hatte sie sich verzweifelt gefragt, was aus ihrem Bruder werden sollte, wenn sie wirk- lich bei diesem Abenteuer umkam. Noch nie im Leben war ihr etwas so schwergefallen, wie Josh bei Wilhelm in Virginia zurück- zulassen.
Meg hatte schon fast nicht mehr geglaubt, jemals wieder festes Land zu erreichen, als die Küste von England im grauen Nebel auftauchte. Gott, war sie froh gewesen!
Doch als sie dann heute mit der Flut die Themse nach London hinauffuhren, war ihre Freude in Bestürzung umgeschlagen, so- bald die Stadt in Sicht kam. Eine dicke schwarze Dunstglocke hing über ihr wie ein Leichentuch und verdeckte alles außer den Gebäuden direkt am Flußufer.
Als sie jetzt mit Stephen den Kai verließ, drehte ihr der Ge-
stank nach Rauch, ungewaschenen Körpern, faulendem Fisch, Müll und Exkrementen fast den Magen um.
Das imposante Zollhaus direkt vor ihr wurde halb verdeckt von kleinen Holzschuppen. Stephen erklärte ihr, daß herein- kommende Frachten in diesen Schuppen bis zur Zollabfertigung gelagert wurden.
Um sie herum herrschten Lärm und Aufregung, als Hunderte von Menschen an Land gingen und ein furchtbares Gedränge ent- stand. Sie schaute zurück zur Raleigh und konnte sie zwischen den zahllosen nackten Masten der am Kai liegenden
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