Marlene Suson 2
als neue Kleider oder ein hübsches Schmuckstück.
Das erinnerte ihn daran, was er zuallererst tun mußte, wenn möglich noch heute. Er wollte dem Juwelier einen Besuch ab- statten, der schon früher für ihn gearbeitet hatte. Jetzt sollte er die Kolibri-Brosche anfertigen, die er Megan als nachträgliches Hochzeitsgeschenk überreichen wollte.
Als die Droschke mit einem Ruck vor dem imposanten Back- steingebäude hielt, sah er befriedigt, wie Megan überrascht die Augen aufriß.
„Was ist das?“ fragte sie.
„Mein Stadthaus. Ich sagte dir doch schon, daß ich kein ar- mer Mann bin. Warte hier, bis ich die Dienstboten von unserer Ankunft unterrichtet habe. Schon mein Anblick wird genügen, um sie aus der Fassung zu bringen. Ich will sie erst auf ihre neue Herrin vorbereiten.“
Als Stephen die Treppe hinaufging, stellte er fest, daß die Fensterläden geschlossen waren und das Haus völlig unbewohnt wirkte. Wieder und wieder betätigte er den Türklopfer, doch niemand öffnete.
Er fiel aus allen Wolken. Auf wessen Befehl war das Haus geschlossen worden? Was war aus den Dienstboten geworden, die alles für seine Rückkehr bereithalten sollten? Wer hatte sich erdreistet, sie zu entlassen?
Stephen zerdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen. Er hatte nicht einmal einen Schlüssel für die Haustür. Er hatte ja auch
nie einen gebraucht. Es war immer ein Pförtner dagewesen, um ihn einzulassen.
Was in drei Teufels Namen sollte er nun tun? Seine Frau sah aus, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Sie mußte so schnell wie möglich ins Bett. Dann würde er sich auf die Suche nach Antworten auf die vielen Fragen machen, die ihn beunru- higten. Ein leises Angstgefühl stieg in ihm auf. Offenbar würde es gar nicht so einfach sein, wieder zu seinem Recht zu kommen.
Als er zur Droschke zurückkam, fragte der Kutscher: „Wohin jetzt?“
Ratlos sah Stephen ihn an.
„Wenn Se ‘n Zimmer suchen, weiß ich ‘ne Frau, die’s ziemlich billig macht. Soll ich Se hinfahrn?“
Stephen nickte. Er mußte seine magere Barschaft schonen, bis er seine Börse wieder auffüllen konnte. Als er in die Kutsche stieg, sah Megan ihn fragend an.
„Das Haus ist geschlossen worden“, erklärte er knapp. Der plötzlich aufflackernde Zweifel in ihrem Gesicht war schlimmer als ein Vorwurf. „Ich miete ein Zimmer, wo du dich ein bißchen ausruhen kannst, während ich ein paar Erkundigungen einhole.“
Stephen schluckte mühsam, als der Kutscher sie vor einem schmutzigen Haus absetzte. Unten war ein Laden für Weiß- wäsche, und darüber lagen die Zimmer, die zu vermieten waren.
Als sie den schäbigen Raum betraten, sah er sich bestürzt um. Das karge Mobiliar bestand lediglich aus einem niedrigen Bett mit einer klumpigen Matratze, einem ramponierten Klei- derschrank und einem Waschtisch, auf dem eine Schüssel mit Krug stand, die beide gesprungen und abgeschlagen waren. Es roch säuerlich nach angebranntem Kohl.
Nein, so hatte er sich das Zimmer wahrlich nicht vorgestellt, in dem seine Frau ihre erste Nacht in London verbringen sollte. Am liebsten hätte er vor hilfloser Wut die dünne, schmutzige Zimmerwand mit den Fäusten bearbeitet.
Obwohl Megan kein Wort sagte, sah sie genauso enttäuscht aus, wie er sich fühlte. Er hatte ihr Luxus versprochen, wenn sie mit ihm nach England kam, und statt dessen bot er ihr nun dies.
„Du brauchst gar nicht auszupacken“, sagte er. „Wir werden hier nicht übernachten. Aber du brauchst einen Platz, wo du dich ein bißchen ausruhen kannst, während ich Walter Norbury einen Besuch mache. Er ist mein Anwalt hier in London. Er wird
sich darum kümmern, daß mein Haus wieder geöffnet wird, und mich mit Geld versorgen. Dann können wir fürs erste in ein Hotel gehen.“
Stephen ging hinunter, winkte eine Droschke herbei und fuhr zu Norbury.
Als er sein Ziel erreichte, war Stephen so erpicht darauf, seinen Anwalt zu sehen und diesem zweijährigen Alptraum endlich ein Ende zu setzen, daß er sich zwingen mußte, nicht loszurennen. Sobald Norbury ihn sah, würde Stephen all seine Rechte zurück- bekommen und sich die Taschen mit Geld vollstopfen können.
Im Vorzimmer saß ein magerer, hochnäsiger junger Sekretär, den Stephen noch nie zuvor gesehen hatte. Er schaute von seinem Kontobuch auf, wo er gerade ein paar Zahlen eintrug. Schwei- gend und mit hochgezogenen Brauen musterte er Stephen, der sich unter diesem abschätzenden Blick seiner abgetragenen, völ- lig unmodernen
Weitere Kostenlose Bücher